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Unscheinbar

Unscheinbar

Titel: Unscheinbar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anja Berger
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Geheimnistuerei? Sie waren vollkommen alleine im Raum. Und es handelte sich um ein Haus. Ein stinknormales Haus. „Ein Freund hat mir gesagt, ich soll es mir mal ansehen.“
    Skeptisch kniff Liss die Augen zusammen. „Warum?“
    „Ich bin Immobilienmaklerin.“
    Jetzt riss sie die Augen wieder auf. „Immobilienmaklerin? Und Sie interessieren sich für diese Bruchbude?“
    „Eine Bruchbude? Nun, das will ich mir lieber mal selbst ansehen und mir mein eigenes Urteil darüber bilden. Aber Sie scheinen zumindest zu wissen, wo es sich befindet?“
    Emma wusste es auch. Zumindest soweit Martin es ihr auf der Landkarte gezeigt hatte.
    Liss schien kurz zu überlegen, ob sie Emma ihr Wissen anvertrauen sollte. Dann hob sie die Hand und zeigte in Richtung Dorfzentrum. „Folgen Sie der Strasse. An der Kreuzung geht’s geradeaus weiter. Immer weiter den Kurven folgen, bis Sie am linken Strassenrand einen verwitterten Briefkasten entdecken. Ein paar Meter weiter führt ein Weg zum Grundstück. Es liegt ziemlich abseits. Gehen Sie also besser nicht mehr jetzt, sondern morgenfrüh. Und passen Sie auf, dass Sie den Abzweiger nicht verfehlen, es ist alles ziemlich verwildert.“
    „In Ordnung, danke.“ Das wurde ja immer noch geheimnisvoller. Emma spürte ein Prickeln der Spannung in den Fingerspitzen. Sie konnte kaum erwarten, Martins Familiensitz zu erkunden. Jetzt, da sie derart seltsame Reaktionen auf dessen Erwähnung erlebt hatte, steigerte sich ihr Interesse nur noch weiter. Emma ergriff gerade die Türklinke, als sie Liss‘ Stimme erneut vernahm.
    „Sie wissen aber schon um das seltsame Schicksal der Familie, oder?“
    Emma zögerte. Dann drehte sie sich langsam um. „Sagen wir, dieser Freund hat etwas darüber verlauten lassen. Warum?“ Falsche Frage. Liss‘ Gesicht leuchtete förmlich auf. Dabei war Emma doch so müde. Und morgen wollte sie früh los, um sich ihr eigenes Bild von der Sache zu machen. So wie es aussah, hatte Liss aber andere Pläne. Emma wünschte sich die schweigsame und mürrische Variante der Brünetten zurück.
    „Kommen Sie. Setzen Sie sich.“ Unaufgefordert zapfte Liss zwei Bier und stellte sie auf dem dominantesten Tisch im Raum ab. Er war robust gezimmert, rund und von einer Holzbank umgeben. Auf der Mitte stand ein grosser Aschenbecher mit der Aufschrift ‚Stammtisch‘. So schnell konnte es also gehen. Erst zum Teufel gewünscht, dann am Stammtisch. Seufzend schob sich Emma auf die Bank und prostete Liss zu. Diese tat es ihr gleich. Dann senkte Liss vertrauensvoll den Kopf und begann mit düsterer Miene zu erzählen.
    Auf einmal nahm Emma den Wind wahr, der draussen um die Hausecken pfiff und das Gebälk zum Knarren brachte. War dieser Wind vorhin schon dagewesen?
    Plötzlich hörte sie laut und deutlich das Knacken im alten Holz und hie und da ein Rascheln.
    Lächerlich. Vollkommen lächerlich.
    Dennoch fröstelte Emma. Und ehe sie sich‘s versah, steckte sie inmitten von Liss‘ Geschichte.
     

Strang 2 / Kapitel 7
     
    Ruth war untröstlich. Die ganze Nacht hatte sie kaum ein Auge zugetan. Sie konnte Miriams Entscheidung einfach nicht begreifen. Was auch immer dort oben in der Hütte geschehen war, konnte es wirklich so entsetzlich gewesen sein? Offenbar entsetzlich genug. Sonst hätte Miriam kaum den Freitod gewählt. Freitod. Selbstmord. Keine gute Art und Weise, sich aus der Verantwortung zu schleichen. Feige und unehrlich. Glaubte man den alten Geschichten, brachte der Mord an sich selbst auch nicht den ersehnten Frieden. Es gab keine Freiheit, kein helles Licht, in das man gehen konnte und es wartete kein Land, in dem Milch und Honig floss. Wer auch immer hatte der Gattung Mensch viel Entscheidungsfreiheit gegeben. Ein bisschen am eigenen Schicksal drehen klappte sicherlich auch. Aber ganz in die Hand nehmen sollte man es keinesfalls.
    Wie hatte Ruths Grossvater in seinen Gruselgeschichten immer erzählt?
    „…und nun, da er seinem Leben selbst ein Ende gesetzt hatte, hat zwar seine Seele den Körper verlassen, doch auffahren konnte sie nicht. Der arme Mann ist dazu verdammt, weiter auf Erden zu wandeln. Als Geist. Immer und immer wieder muss er seine letzte Tat durchleben. Bis zu dem einen Tag, den das Schicksal als seinen Todestag zu Menschzeiten festgesetzt hatte. Oder bis zu jenem Tag, an dem sein Geist gebannt werden kann.“
    Und obwohl Ruth damals wie heute diesen Schauermärchen keinen Glauben schenkte, erschauerte sie jetzt. Vielleicht, weil Miriam die erste

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