Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unscheinbar

Unscheinbar

Titel: Unscheinbar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anja Berger
Vom Netzwerk:
bekannte Selbstmörderin war. Ruth dachte darüber nach. Sie musste eingestehen, dass die Vorstellung, Miriam müsse nun Nacht für Nacht den Berg erklimmen, so lange, bis ihr irdisches Leben offiziell geendet hätte, etwas Trauriges hatte.
    Tief in ihre Gedanken versunken zog Ruth die Bettlaken aus der Waschmaschine und warf sie in den Wäschekorb. Die Zeine unter dem Arm trat sie ins Freie. In eine bläulich-schwarze Dunkelheit. Der Morgen brach eben erst an.
    Natürlich war Ruth viel zu früh an der Arbeit, aber an erholsamen Schlaf war sowieso nicht zu denken.
    Die Luft war kühl und roch nach der Seife der frischen Wäsche. In unschuldigem Weiss hoben sich die Laken leuchtend von den nächtlichen Schatten ab.
    Ruth trat an die Seile, die zwischen der Wäscherei und einem kleinen Geräteschuppen straff gespannt waren und begann, die Wäsche aufzuhängen.
    Finster erhoben sich die schroffen Berge um sie herum. Dem Abhang, dem sie ihre Schlaflosigkeit zu verdanken hatte, kehrte sie den Rücken.
    So sah sie auch nicht, wie an eben diesem Hang plötzlich ein kleines Licht aufflackerte, das sogleich wieder verschwand, nur um hinter der nächste Anhöhe wieder aufzuglimmen.
    Immer weiter wanderte das ferne Licht bergan. Beinahe spöttisch züngelte die Flamme im kühlen Wind, der über die dunklen Alpen fegte.
    Wüsste man es nicht besser, hätte man meinen können, Miriam würde in ihrer Verdammnis bereits Busse tun.
    Ruth legte das letzte Laken über das straffe Seil und drehte sich um. Das Licht am Berg flackerte stärker als zuvor auf. Es erlosch im selben Augenblick wie Ruth den Blick hob.
    Von der Flamme hatte sie nichts bemerkt. So, als wären sie nie dagewesen.
    Ohne Eile trat Ruth zurück in die Wäscherei und stellte ihren Wäschekorb an seinen Platz. In der Stille der frühen Stunden begann sie sich langsam zu entspannen. Die Gedanken kamen nach und nach zur Ruhe. Darüber war Ruth so froh, dass ihr sogar ein leichtes Lächeln über die Lippen huschte.
    Da flog die Tür zur Wäscherei auf und knallte mit ohrenbetäubendem Krach gegen die Bretterwand.
    Konnte eine Tür überhaupt so laut aufschlagen?
    Ruths Kehle entglitt ein Schrei. Sofort fuhr sie herum. Ihr Herz schlug wild gegen die Rippen. Ihr Atem raste. Das Blut rauschte ihr in den Ohren. Sie legte sich die Hand auf das hämmernde Herz. Als könnte sie es so beruhigen. Ihr Blick blieb starr auf den Eingang gerichtet. Es waren nur dunkle Umrisse zu erkennen. Sie hoben sich wie ein Schatten vom glühend roten Hintergrund ab.
    Ruth brauchte eine ganze Weile, bis sie zu begreifen begann. Langsam drangen Geräusche an ihr Ohr. Der Hof lag nicht mehr still da. Die Ruhe war heller Aufregung gewichen.
    Da trat die schattenhafte Gestalt auf sie zu. Weg von dem glühenden Hintergrund war sie auf einmal gar nicht mehr so riesig. Ruth wollte zurückweichen, doch ihre Beine waren wie gelähmt. Man packte sie an den Schultern. Ein Mann. Die Hände waren zu gross für die einer Frau. Das Gesicht nahe genug vor ihrem eigenen, sah sie nun, dass seine Lippen sich bewegten.
    „…plosion.“
    Was?
    Ruth starrte den Mann an. Warum pfiff es in ihren Ohren? Das hatte sie doch sonst nie.
    Alles spielte sich in Sekunden ab. Doch Ruth kam es vor wie eine Ewigkeit.
    „Komm jetzt raus hier!“
    „Was ist denn…“ Da legte er bereits den Arm um ihre Schulter und zog sie mit sich. Als sie wieder ins Freie trat, zeigte sich ihr ein Bild des Grauens. Alle waren auf den Beinen. Mit Eimern gefüllt mit Wasser rannten sie über den Platz. Überall lagen zerbrochene Bretter. Glassplitter glitzerten im hellen Schein. Der zuvor noch schwarzblaue Himmel glühte in den schönsten Gelb- und Rottönen. Und Ruth verstand. Nicht die Wäschereitür hatte Schuld an diesem Knall. Die hofeigene, kleine Schnapsbrennerei stand lichterloh in Flammen.
    Und das Feuer hatte eine Explosion ausgelöst.
    Benommen liess Ruth den Blick über den Hof schweifen. Und über die Umgebung.
    Erwin wollte seine Frau vom Geschehen wegbringen. Aber sie blieb wie angewurzelt stehen. Mit vor Schreck geweiteten Augen starrte sie auf das Gebirge
    Erwin sah auf, und liess von seiner Frau ab.
    Erst sagte er es ganz leise. „Feuer.“
    Dann immer lauter bis er es schrie. „Feuer!“
    Martin und Gregor, die mit vollen Kesseln an ihm vorbei rannten, blieben abrupt stehen. Besorgnis stand in ihren Gesichtern.
    „Vater, alles in Ordnung?“
    Erwin blieb stumm. Er hob nur die Hand. Die Brüder folgten der angewiesenen

Weitere Kostenlose Bücher