Unscheinbar
verstecken und Hemd und Jacke schienen ungefähr so alt zu sein, wie er es war. Er starrte Löcher in den Tisch, während der Kaffee vor ihm langsam auskühlte.
Als er hörte, dass jemand eintrat, hob er nur leicht den Kopf. Doch als er Emma sah, kam auf einmal Leben in die leeren Augen.
Was Emma darin zu lesen bekam, war aber nicht die Skepsis, die ihr sonst entgegengebracht wurde.
Es war Furcht.
Der Mann hielt ihren Blick fest, während er aufstand und sich an der Tischkante entlang drückte um zum Ausgang zu gelangen. Er öffnete die Tür und verliess das Lokal rückwärts. Doch bevor er die Tür schloss, hob er mahnend einen Finger. Zwischen seinen schlechten Zähnen hindurch zischte er: „Fahr zur Hölle, Weib, und mit dir der Fluch, den du uns wiedergebracht hast!“
Dann fiel die Tür ins Schloss und Emma war alleine.
Der Kaffee war vergessen. Verstört trat sie den Rückzug an, aber nicht durch die Vordertür. Sie ging hinten hinaus. Sie stapfte durch den Garten, der sich hinten an das Haus anschloss, und an ein paar wenigen Häusern vorbei. Während sie ging, holte sie ihr Telefon aus der Tasche – und blieb stehen. Fassungslos starrte sie das Telefon an.
Wie sollte sie Martin eigentlich anrufen? Ohne seine Nummer? Und wie wollte sie die Nummer herausfinden, ohne Nachname?
Verflucht, was war nur los mit ihr? Sie hatte den Mann noch nicht einmal nach dem Nachnamen gefragt! Ein Wildfremder stellte sich ihr vor und schickte sie auf die Fährte seiner angeblichen Familie und sie fragte nicht einmal nach seinem Nachnamen! Gut, er müsste Reich heissen. Wenn er denn der wäre, den er vorgab zu sein. Aber das ist er nicht, denn sie waren alle tot!
Die Adresse. Sie kannte die Adresse. Ein Hoffnungsschimmer. Schnell ging sie über ihr Handy ins Internet und versuchte über die Adresse eine Nummer zu erhalten. Fehlanzeige.
Angestrengt dachte Emma nach. Musste sie tatsächlich zurückfahren und ihn persönlich aufsuchen? Jetzt, wo sie darüber nachdachte, schien das sowieso die passendste Lösung. Am Telefon konnte er sich auch verleugnen lassen.
Okay, wenn sie unangemeldet vor der Tür stand, würde womöglich Rosaria sie abblocken. Im wahrsten Sinne des Wortes.
Rosaria. Martin und sie hatten miteinander telefoniert, als Emma ihn vor einer gefühlten Ewigkeit nach Hause gefahren hatte. Hatte sie die Nummer da gesehen? Nein. Sie hatte ihm das Telefon zurückgegeben. Weil sie eine Fremde war. Dennoch dachte Emma angestrengt nach. Hatte sie wirklich nicht hingesehen? Sie hatte.
Emma rief sich die Situation in Bildern zurück ins Gedächtnis. Sie erinnerte sich an eine Ziffer. An die zwei, und das war die Kurzwahltaste gewesen.
Was für ein Ärger. Sie liess die Hand mit dem Telefon sinken, als es klingelte. Anrufer unbekannt. Oh, wie sie das hasste.
Aber vielleicht war es wichtig. Sie nahm den Anruf entgegen und lauschte. Sie erkannte die Stimme, traute aber ihren Ohren nicht.
„Rosaria?“
Kaum zu glauben.
Und mit jedem Wort wurde Emma unruhiger.
„Er ist was? Im Krankenhaus? Ein Herzanfall? Oh mein Gott! Aber geht es ihm gut?“
„Okay. Natürlich. In welchem Krankenhaus ist er?“
„Kann man ihn besuchen?“
„Nicht? Schade. Ja, nein, wenn er zu schwach ist, dann ist Aufregung nicht das richtige. Sicher, das verstehe ich. Aber, Rosaria? Kann ich dir noch eine Frage stellen?“
„Danke. Wie heisst Martin eigentlich mit Nachnamen?“
Emma konnte die Füsse kaum still halten.
„Knecht? Ach so. Danke. Oh, noch was. Kann ich deine Nummer haben? Damit ich dich zuerst anrufen kann, um zu erfahren, wie es ihm geht. Ist das in Ordnung?“
„Sehr gut. Danke.“
„Ja. Und danke für deinen Anruf.“
„Gut. Tschüss!“
Emma drückte die rote Taste und Rosaria war weg.
Knecht? Im Krankenhaus? Keine Störung? Was zum Teufel sollte sie denn jetzt machen?
Da kam ihr ein Gedanke.
Zielstrebig eilte sie zwischen den Häusern hindurch, bis sie das gefunden hatte, über dessen Eingang ein hübsches, kleines Schild hing, das des Nachts leuchtete. Darauf vermerkt war nur ein Wort. Polizei.
Ohne zu zögern trat Emma ein. Sie platzte in einen winzigen Vorraum, auf dessen linker und rechter Seite je eine einfache Holzbank stand und geradeaus befand sich eine Art Schalter. Dahinter sass ein älteres gelangweiltes Gesicht und ein jüngeres, das ihr ziemlich bekannt vorkam.
Das jüngere sah auf, als sie eintrat. Er schob langsam den Stuhl zurück und trat betont gelassen an seinen Schalter
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