Unscheinbar
Sprengladung sicher gehört.“
Sprengladung?
Emma konnte nicht mehr folgen.
„Ich dachte, ich hätte mir das eingebildet. Unter dem Helm, laufender Motor, du weisst schon. Aber dann war’s kein Irrtum?“
„Nein. Wir haben Sprengungen durchgeführt. Aber auf der anderen Seite, weiter oben. Als wir von dem Fels hörten, der auf die Strasse abging, sind wir losgefahren. Das war aber erst heute Morgen der Fall. Die Jungs haben das Gestein untersucht. Es muss anhand der Erschütterung abgebrochen sein, die unsere Sprengungen ausgelöst haben. Dass die Ecke instabil war, wussten wir, aber wie instabil, das haben wir unterschätzt. Jedenfalls entdeckten wir dann auf der anderen Seite eure Fahrzeuge. Wir funkten ins Dorf und bekamen zum Glück Entwarnung.“
„Ihr sprengt nachts?“, fragte Emma erstaunt.
„Nur, wenn’s sein muss“, gab Kevin zurück, ohne weitere Erklärungen folgen zu lassen.
„Wir haben uns in Deckung gebracht und sind dann drüber geklettert und zurück ins Dorf gelaufen“, nahm Ben den Faden wieder auf.
„Das war ziemlich unverantwortlich. Ein ganz schönes Risiko über eine Felslawine zu klettern.“
„Sagt der, der sie ausgelöst hat?“
Sofort brodelte wieder dieser unterschwellige Hass auf. Woher kam der bloss?
Emma wollte es genau wissen. Also entschloss sie sich zu fragen. „Was ist eigentlich los mit euch beiden? Ihr scheint euch gegenseitig aufzuladen wie elektrische Teilchen. Woher kommt das?“
Sie erhielt keine Antwort. Noch nicht. Denn Kevin suchte am Bund einen Schlüssel aus und steckte ihn die Tür eines beeindruckenden Chalets. Ben blieb fassungslos davor stehen.
„Warum hast du einen Schlüssel zum Haus des Polizeichefs?“
„Weil ich seine Tochter heiraten werde.“
Ben fiel die sprichwörtliche Kinnlade herunter. „Ist das dein Ernst?“
„Schätze ja. Obwohl sie sich kaum Bonuspunkte ergattern konnte, nachdem sie so einen Affentanz um deine Rückkehr veranstaltet hat.“
Ben konnte nicht folgen. Dafür war Emma jetzt einiges klar.
Liss.
Es musste Liss sein. Aufgedreht, wie sie gewesen war, als Ben im Dorf auftauchte, verärgert, wie Kevin reagiert hatte… Und hatte nicht Mara etwas in die Richtung verlauten lassen?
„Liss ist die Tochter von Jens?“, fragte Emma interessiert dazwischen.
„Allerdings. Und mir gehört jetzt, was Ben hätte gehören können, hätte er sie vor fünf Jahren nicht im Regen stehen lassen.“
„Dann hast du ja doch noch gekriegt, was du schon immer wolltest. Gratuliere.“
„Ich meinte es zumindest ernst. Du hast sie nur haben wollen, weil ich in sie verliebt war. Gekriegt hast du sie und dann wurdest du ihr überdrüssig und hast sie abserviert. Nein, nicht einmal abserviert hast du sie, du bist einfach verschwunden. Nicht die feine Art. Aber die hast du ja noch nie beherrscht.“
Die Funken sprühten wieder. Emma glaubte die Hitze förmlich zu spüren. Die Situation war kurz davor, zu eskalieren. Diesmal wechselte sie das Thema aber nicht.
So war das also. Der ganze Hass wegen einer Frau. Weswegen denn sonst.
„Seid ihr vor der Geschichte mit Liss Freunde gewesen?“ Unschuldig blickte Emma vom Einem zum Anderen.
Kevin antwortete zuerst. „Nein. Ben wollte immer das, was ich hatte. Meist gelang ihm das auch. Das, was er am meisten wollte, bekam er aber nicht.“
Bevor Emma fragen konnte, was das war, was Ben nicht bekam, blieb Kevin vor einer weiteren Tür stehen.
Ganz untypisch für Emma hatte sie die Räume, durch die sie gegangen war, kaum wahrgenommen. So fasziniert war sie von der Diskussion der Männer gewesen. Sie hatten sich aber sicher vier Stockwerke in die Höhe gearbeitete und standen nun unter dem Dach. Der Raum war nicht isoliert und es war entsprechend kühl. Rund herum standen alte Möbel und Kisten, die allesamt mit einer dicken Staubschicht überzogen waren.
Hier hatte schon ewig keiner mehr etwas angefasst.
Kevin langte auf einen Holzbalken und zauberte einen grossen, alten Schlüssel hervor, den er in die Tür vor sich steckte. Mit einem Quietschen gab das Schloss nach und eröffnete den Weg in einen weiteren Raum. Zielsicher steuerte Kevin auf eine Holztruhe zu und klappte den Deckel auf.
„Abgeschlossene Fälle, die zehn Jahre oder älter sind, landen im Schredder. Nicht so diese hier.“ Kevin trat einen Schritt zurück.
Als Emma den Namen auf dem ersten Schiffchen des Hängeregisters erkannte, gab sie einen leisen Jauchzer von sich.
„Von diesen Akten konnte er sich nicht
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