Unscheinbar
heran.
„Na, was schwemmt uns der Regen denn da an? Die Unterländerin! Welch eine Überraschung. Eigentlich hab ich dich früher erwartet.“
„Kevin, richtig?“ Wenn er sie duzte, konnte sie das auch.
„Da hat jemand aufgepasst. Nun, was treibt dich her?“
Emma beschloss, nicht lange um den heissen Brei herum zu reden. Wenn er ihr keine Auskunft geben wollte, spielte es kaum eine Rolle, wie viel Worte sie verwendete. Das Thema war sowieso heikel.
„Die Reichs.“
Kevin senkte leicht den Kopf und verlagerte seine Aufmerksamkeit zu seinem älteren Kollegen. „Jens?“
Jens‘ Gesichtszüge wechselten von gelangweilt zu unerbittlich. Er erhob sich ebenfalls. Emma musste zugeben, sein Auftreten wirkte einschüchternd. Seine Dienstmarke war eigentlich überflüssig. Sie wich innerlich instinktiv einen Schritt zurück. „Da gibt’s nichts. Sie sind tot und damit basta.“
Emma kratzte all ihren Mut zusammen. Wenn hier nichts zu holen war, wo sollte sie sonst noch anklopfen?
„Das habe ich mittlerweile verstanden, danke. Dennoch hätte ich zumindest gerne gewusst, ob es noch irgendwelche Akten oder Dokumente gibt über die damaligen Ereignisse?“
„Nein.“ Dieses Nein klang so endgültig, dass Emma nicht mehr weiter zu fragen wagte. Das konnte sie auch nicht. Jens öffnete die Hintertür, trat hinaus und donnerte die Tür hinter sich wieder zu. Dann hörte Emma, wie ein Motor gestartet wurde. Schliesslich schienen durch die wenigen Fenster Abblendlichter hinein, bewegten sich durch den Raum und verschwanden.
Kevin hatte die Szene still beobachtet. „Was versprichst du dir von diesen Akten?“
„Ich habe keine Ahnung. Ein Anhaltspunkt, weshalb ich hier bin vielleicht.“
Kevin schien nachzudenken. Da flog hinter Emma die Eingangstür auf und knallte an die Wand. Ein Luftzug folgte, der einen Schwall Regen ins Innere trieb. Schnurstracks marschierte der Eindringling an Emma vorbei, auf Kevin zu. Ein schneller Griff über die Theke und er hatte Kevin am Kragen. Er zog ihn nah an sich heran und verpasste ihm mit der freien Hand einen Schlag, dass die Haut unter der Faust aufplatzte. Sofort floss Blut. Eine ganze Menge davon.
Emma ging das alles zu schnell. Sie hatte kaum begriffen, wer in der Tür stand, da schrie derjenige den blutenden Kevin auch schon an.
„Das war für den Stein, den du nach mir geworfen hast. Was zum Teufel hast du dir dabei gedacht? Du hättest mich beinahe erwischt!"
Trotz der Schmerzen im Gesicht biss Kevin die Zähne fest zusammen. Durch die Anspannung rann das Blut nur noch stärker. Aber das schien ihm egal zu sein. Eindringlich sah er seinem Gegenüber in die Augen.
„Willst du mich jetzt so zurichten, wie du es mit Phil getan hast?“ Ein knurrender Hund hätte nicht bedrohlicher klingen können. Aber den Angreifer liess das kalt. Die Worte selbst zeigten dafür Wirkung. Ben liess Kevin los.
„War ja klar. Und, willst du mir die Anzeige gleich aushändigen?“
„Ich habe sie nicht aufgenommen.“
„Wie gutmütig.“ Es klang sarkastisch, aber die Schärfe in der Stimme war verschwunden.
Emma konnte nicht folgen. Sie wagte sich aus ihrer sicheren Ecke heraus und trat auf die beiden Männer zu, die sich nach wie vor wütend anfunkelten.
„Was ist hier eigentlich los? Was für ein Stein und welche Anzeige?“ Sie liess den Blick vom Einen zum Anderen wandern.
Kevin ergriff als erster das Wort. „Von einem Stein weiss ich nichts. Aber dein Schosshündchen hier hat unserem Sanitäter ein blaues Auge verpasst.“
Fassungslos starrte Emma Ben an. In ihren Augen stand die Frage deutlich zu lesen: Warum?
Ben schwieg.
Kevin schnaubte verächtlich. „Früher hast du dich gar nicht genug vor den Frauen brüsten können und jetzt so bescheiden?“
Bens Hand zuckte. Dann presste er nach Beherrschung ringend die Lippen aufeinander.
„Na, dann feiern wir eben eine Premiere, und ich übernehme die Erzählung über deine Heldentat. Phil hätte dich aus dem Auto schälen sollen, stattdessen hat er seinem Vater die ganze Arbeit überlassen und dumme Sprüche über Ben geklopft. Aber auf deine Kosten, während du daneben bewusstlos in einem Autowrack gehockt und Hilfe gebraucht hast. Das schmeckte unserem Ben nicht besonders.“ Und den Blick auf Ben gerichtet fuhr er fort: „Phils Vater übrigens auch nicht. Phil tauchte hier auf, ich nehme an, nachdem die beiden Emma im Krankenhaus abgeladen hatten, und wollte Anzeige erstatten. Gleich darauf erschien auch Phils
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