Unscheinbar
und bei dir ist es eben ein Nothalt im Zug.“
Da regte sich das Bündel, das das Gesicht zwischen Omis Hals und dem Jackenkragen vergraben hatte. Ein Auge schielte Emma an. Dann kam das zweite zum Vorschein. „Ich habe keinen Schwachpunkt“, sagte sie vorwurfsvoll zu Emma. Und an ihre Omi gewandt fügte sie an: „Omi, du musst mich jetzt loslassen. Aber ich verspreche, ich werde auf dich aufpassen.“
Die Frau und Emma lächelten sich kurz an. Dann stand die Kleine auf ihren eigenen Füssen. Zwischen ihrer Omi und Emma nahm sie den Platz in der Kolonne ein. Hinter der alten Dame folgten die Frau mit dem Buch, anschliessend der Mann mit den Kopfhörern und dann der Zugführer, der mit dem kräftigen Lichtstrahl seiner Taschenlampe unterstützend über die Köpfe hinweg leuchtete.
Schnell war das Ende des Zuges erreicht. Emma entdeckte hinten nur die reguläre Tür. „Entschuldigen Sie, Sie müssen mir helfen. Ich weiss leider nicht, wie man die Tür öffnet.“ Sofort musste Emma wieder die Augen schliessen. Das Licht war einfach zu grell. „Und könnten Sie aufhören, mir immer direkt ins Gesicht zu leuchten? Das ist sehr unangenehm.“
„Kann ich nicht“, kam die schroffe Antwort aus dem Schatten hinter dem Licht.
Ein freundlicher Mensch, dieser Lokführer.
Sie würde wohl selbst herausfinden müssen, wie die Tür sich manuell öffnen liess. Sie griff auf gut Glück nach dem nächsten Hebel der aussah, als könnte er den gewünschten Zweck erfüllen. Da langte aus dem Dunkeln noch eine zweite Hand danach. Emma sah auf und erkannte den Kopfhörertypen.
„Lassen Sie. Ich mach schon. Ist nicht das erste Mal.“ Er lächelte sie verlegen an. Sein Dialekt verriet Emma, dass der Mann aus dieser Gegend stammte. Welche Flausen die Jugend hier im Kopf hatte, wollte sie lieber nicht wissen. Daher unterliess sie die Frage, warum er schon des Öftern die Tür des Zuges manuell öffnen musste.
Tatsächlich konnte er die Tür nach wenigen Handgriffen zurückschieben. Emma hätte gerne gewusst, wie er das angestellt hatte, aber sie hatte es verpasst, ihm auf die Finger zu sehen.
„Bitte sehr. Der Weg ist frei. Aber wundern Sie sich bitte nicht, wenn Sie orange sind, sobald Sie den Tunnel verlassen. Hier drin ist es ganz schön rostig. Ihre Kleidung ist anschliessend im Arsch. Nur als Vorwarnung.“
Er schien tatsächlich einige Erfahrung mit dieser Bahn zu haben. Emma sah ihn fragend an, ging dann aber schweigend an ihm vorbei und hüpfte aus dem Zug. Sie half den Nachfolgenden, bis nur noch der Zugführer im Wagen war. Sie sah zu ihm auf und bekam sogleich wieder das gleissende Licht ab.
„Sie finden das wohl komisch. Jetzt kommen Sie“, forderte Emma den Mann auf. Doch der blieb ungerührt stehen.
„Ich habe noch etwas vergessen. Gehen Sie schon vor. Ich komme nach. Bleiben Sie schön zwischen den Schienen. Es könnte sein, dass sie sich elektrisch aufgeladen haben und wir wollen ja keinen Stromschlag kriegen, nicht?“
War das Ironie in seiner Stimme? Was ist das bloss für ein Mensch? Emma fröstelte, obwohl ihr warm war.
„Die Erlösung wartet am Ende des Tunnels. Einfach dem Licht folgen.“
Wieder so eine seltsame Aussage. Komischer Kerl. Sie war nicht die einzige mit diesem Eindruck. Hinter ihr hörte sie die Kleine flüstern: „Omi, der Mann da macht mir Angst!“
Emma konnte der Kleinen nachfühlen.
Obwohl sie am liebsten so rasch wie möglich von diesem Menschen weggekommen wäre, wollte Emma dennoch abwarten, bis der Lokführer zurück in den Zug ging.
Aber er blieb einfach stehen und leuchtete ihr ins Gesicht.
„Ja gut. Wir gehen ja. Aber beeilen Sie sich. Ich will Sie nicht suchen müssen.“
„Oh, das wird nicht nötig werden. Keine Angst. Einfach dem Licht folgen.“
Emma nickte kurz. Dann ging sie los. Sie übernahm erneut die Spitze der Gruppe. Mit ihrem Handy leuchtete sie auf die Erde, damit niemand stolperte.
Bis zum Ausgang war es nicht weit, aber der Weg schien Emma ewig zu dauern.
Wie der Lokführer gesagt hatte, war sie darauf bedacht, den Kontakt mit den Schienen zu vermeiden und dazwischen zu gehen. Obwohl sie sich nicht vorstellen konnte, weshalb sich die Schienen elektrisch aufgeladen haben sollten.
Und da geschah es. Direkt vor ihr.
Es gab einen Knall. Gleich darauf ein helles Aufleuchten. Dann ein einziger kleiner Funke, zusammen mit einem Knistern. Wäre es nicht so dunkel gewesen, hätte ihn Emma wohl übersehen.
Gleich darauf verwandelte sich der Funke in
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