Unschuldig!
flüsterte er.
Julia spürte einen eiskalten Schauder.
Gleic Éire?
Die irische Extremistengruppe, die acht Jahre zuvor Pauls Schwester ermordet hatte?
Eli sah sich rasch und verängstigt um. “Sei vorsichtig”, flüsterte er heiser. “Sie dürfen Joey nicht bekommen.” Er zog an Julias Handgelenk, bis ihr Gesicht nur noch wenige Zentimeter von seinem entfernt war. Auf diese geringe Entfernung glühte in seinen Augen ein so intensives Feuer, dass Julia versuchte, sich zurückzuziehen.
Seine knorrigen Finger umschlossen ihr Handgelenk noch fester. “Vertraue niemandem”, flüsterte er.
Julia setzte sich wieder hin und sah dem Mann tief in die Augen. “Wollen Sie sagen, dass
Gleic Éire
Paul Bradshaw umgebracht hat?” fragte sie mit gedämpfter Stimme.
Das Glühen in Elis Augen erlosch, er lockerte seinen Griff und ließ seine Hand wieder schlaff in seinen Schoß fallen.
“Eli, bitte, sprechen Sie mit mir.” Sie wollte ihn zurückholen, nahm seinen Arm und begann ihn sanft zu schütteln. “Wissen Sie, wer Paul Bradshaw getötet hat?”
Doch Eli schien sie nicht mehr zu hören. Seine Augen waren wieder leer, sein Mund war schlaff, und er begann von Neuem langsam zu schaukeln
Julia sah ihn eine Zeit lang an. Hat der Mann einen Augenblick der Klarheit erlebt? fragte sie sich. Oder waren seine eingebildeten Ängste schlimmer, als sie gedacht hatte?
Sie sah zu Jennifer, die blass geworden war. “Hat er vorher schon einmal
Gleic Éire
erwähnt?”
Jennifer schüttelte den Kopf. “Nein. Als er nach Pine Hill kam, fürchtete er sich vor marschierenden Soldaten, vor Männern, von denen er glaubte, sie seien hinter ihm her.”
Gleic Éire
, die gälischen Worte für “Irischer Kampf”, war eine kleine, aber gut organisierte und bestens bewaffnete militante Gruppe, die in den letzten vier Jahrzehnten Angst und Schrecken in Nordirland und England verbreitet hatte.
Vor acht Jahren, als Julia ein Praktikum im “Fairmont Hotel” in San Francisco ableistete, wurde Sheila Bradshaw von einer Bombe getötet, die die Terroristen vor dem britischen Konsulat in Manhattan deponiert hatten. Der Anschlag, dem der britische Premierminister während seiner Visite zum Opfer hätte fallen sollen, kostete drei Menschen das Leben – unter ihnen Sheila – und fügte einem Dutzend Passanten Verletzungen zu.
Das FBI hatte mit Unterstützung von Scotland Yard eine groß angelegte Suche nach den Attentätern eingeleitet, sowohl in den USA als auch in ganz Großbritannien. Doch die Gruppe, die angeblich von wohlhabenden Amerikanern irischer Abstammung geführt wurde, hatte sich förmlich in Luft aufgelöst.
Julia sah auf die bedauernswerte Gestalt im Schaukelstuhl. Einen Augenblick lang hatte er sich so lebendig angehört, so … leidenschaftlich. Könnte er die Wahrheit gesagt haben? Oder war es nur eine Halluzination gewesen?
Das waren Fragen, die beantwortet werden mussten, auf die Eli aber keine Antwort geben konnte. Sicher nicht jetzt, nachdem er sich wieder in seine eigene Welt zurückgezogen hatte.
Vielleicht wusste Frank, wie man mit ihm umgeben musste. Oder Detective Hammond, auch wenn es in den Sternen stand, welchen Wert er den Äußerungen eines kranken und alten Mannes beimessen würde.
Mit nur wenig Hoffnung verabschiedete Julia sich von Jennifer und verließ das Pflegeheim.
Nachdem sie ihre Mutter angerufen und sie gebeten hatte, noch eine Weile länger auf Andrew aufzupassen, fuhr Julia direkt zum Haus von Penny und Frank.
Die beiden hatten das reizvolle Cottage zwei Jahre zuvor gekauft. Penny, die die Natur liebte, hatte den einfachen Hof in einen üppigen englischen Garten verwandelt, der eine ideale Plattform für ihr künstlerisches Talent darstellte. Schrullige Tontiere, überwiegend Hasen, Eichhörnchen und Streifenhörnchen, fanden sich überall, spähten zwischen den dichten Rhododendronbüschen hindurch, säumten den aus Ziegelsteinen gelegten Weg und bewachten sogar die Vordertür.
Frank, der die Schicht von Mitternacht bis um vier Uhr nachmittags hatte, ließ Julia ins Haus, als Penny gerade aus ihrem Studio im hinteren Teil des Hauses kam. Sie trug eine lange marineblaue Schürze und hatte ihr volles braunes Haar zu einem wirren Knäuel hochgesteckt.
“Ich habe angerufen, weil ich hören wollte, wie du dich auf der Beerdigung mit Charles geschlagen hast”, sagte sie und sah sie besorgt an. “Deine Mutter sagte etwas davon, dass du irgendjemandem in einem Pflegeheim in Carmel besuchen
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