Unser Autopilot - wie wir Wünsche verwirklichen und Ziele erreichen können
wird, führt zu einer vorsichtigen Vermeidung von Fehlern, sie führt zu einer Risikoaversion.
In einer Gesellschaft hingegen, in der man sich sicher fühlt, erwacht das Bedürfnis nach Wachstum und Selbstverwirklichung. Hier befinden sich die Menschen in einem Promotion-Fokus. Plötzlich ist es nicht nur wichtig, dass man einen Job hat, sondern auch für welchen Job man sich entscheidet. Man nimmt nicht den erstbesten und ist geneigt, dabei ein größeres Risiko einzugehen. Für Menschen, die in einer sicheren Gesellschaft leben, sind Ideale, Träume und Selbstfindung ein Thema, während man in Gesellschaften, in denen das oberste Gebot lautet, Sicherheit herzustellen, vor allem konkrete Regeln aufstellt, um diese zu gewährleisten. In solchen auf Sicherheit bedachten Gesellschaften sind Pflichterfüllung und das Einhalten von Regeln zentral. Zwar kann das Befolgen sozialer Normen auch Anerkennung, Wachstum und ein schönes Gruppengefühl bedeuten, wie wir in Kapitel 1 gesehen haben, in Situationen der Unsicherheit wird es jedoch häufig zum Selbstzweck: Ein verunsicherter Mensch geht kein Risiko ein; er hält sich an das, was alle tun. Das simple Befolgen von Regeln wird dann uninteressant, wenn Sicherheit gewährleistet ist. In dem Fall erwacht das Bedürfnis, über das Bestehende hinauszuwachsen und neue Erfahrungen zu machen. Die Bedeutung sozialer Normen tritt etwas in den Hintergrund, sie werden lediglich als Basis für riskantere, spannendere Ideen und Pläne genutzt. Schauen wir uns einmal genauer an, wie solche Fokusse entstehen und wodurch sie geweckt werden können.
Darf ich vorstellen? Zoe und Mark-Rüdiger!
Je nach Erziehungsmethode kann ein relativ stabiles Persönlichkeitsprofil im Sinne eines Promotion- oder Prevention-Fokus ausgebildet werden. Dabei ist entscheidend, ob Sicherheit bereits hergestellt oder erst anzustreben ist. Ein Kind, das vor allem daraufhin erzogen wird, möglichen Bestrafungen aus dem Weg zu gehen, versucht Sicherheit herzustellen; es wird sich verstärkt mit den Pflichten beschäftigen, die es erfüllen muss, um sein Ziel zu erreichen. Dabei wird es weniger darauf hinarbeiten, etwas Positives zu erreichen , als darauf, nicht bestraft zu werden.
In meiner Jugend hatte ich einen Freund, der immer dann, wenn er etwas falsch machte, eine mächtige Abreibung von seinem Vater bekam. Der junge Mann mit Namen Mark-Rüdiger 18 ist für mich der Prototyp eines Menschen im Prevention-Fokus. Er wurde beschimpft, wenn er am Samstag die Rasenkanten nicht solide geschnitten hatte, so wie man das in Ostwestfalen tut; er bekam Schläge, wenn sein Fahrrad nicht geputzt war, und er musste jedes Mal eine Stunde lang im Regen stehen 19 , wenn er beim Essen seine Ellenbogen auf dem Tisch aufgestützt hatte. Als er in die Pubertät kam und sich aus Frust von seinem Taschengeld ein Stück Sahnetorte nach dem anderen kaufte, wurde er regelmäßig mit einem Anschiss oder Stubenarrest bestraft oder als Fettwanst beleidigt. Wie häufig versuchte er, es seinem Vater recht zu machen, und wie häufig war er erfolglos darin, dieses kleine bisschen Sicherheit herzustellen, das er sich so sehr wünschte. Sicherheit bedeutet ja nicht viel mehr als die Abwesenheit von Negativem, und darum drehte sich fortan sein ganzes Leben. Ich sehe ihn noch vor mir, wie er einmal bei uns zuhause saß, die Nägel bis zum Anschlag blutig gekaut, und leise weinte: »Immer mache ich alles falsch. Das einzig Schöne in meinem Leben ist, wenn ich mal einen Tag lang keine in die Fresse kriege.« Das war Mark-Rüdiger. Ich mochte den Kerl sehr gerne, denn er war absolut verlässlich. Ein armer Schlucker, aber mit ihm konnte man Pferde stehlen.
Etwas außerhalb der Stadt wohnte meine Freundin Zoe. In Ostwestfalen-Lippe sprach man den exotischen Namen den deutschen Ausspracheregeln strikt folgend Zö aus, aber das störte sie nicht. Zös Eltern wohnten in einer WG in einer Burg und waren dauernd bekifft. Sie hatten zuvor in einem Ashram gelebt; viele lebenswichtige Produkte stellten sie selbst her. Zö müffelte immer etwas nach Ziege, aber es machte ihr nichts aus. Sie bekam niemals Schläge, und wenn sie ihrem Vater mal ein besonders schönes Bild oder ein Gedicht mit nach Hause brachte, dann bekam sie viele Küsse und manchmal mixte er ihr liebevoll einen »Ambalast«, das ist ein ostwestfälisches Gericht, dessen Einfachheit besticht: Man mischt einfach Buttermilch mit zerstoßenem Schwarzbrot und Zucker und lässt es etwas
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