Unser Autopilot - wie wir Wünsche verwirklichen und Ziele erreichen können
ganzen Tag lang das Aussehen von Kartoffelchips kontrollieren müssen, häufig zusätzliche Aufgaben stellen: Sie stellen das Band mal schneller, mal langsamer, sagen sich Gedichte vor, singen oder lassen in ihren Köpfen lustige Szenen ablaufen. Ein inzwischen klassischer Sport in amerikanischen Chipsfabriken ist es, eine Kartoffelscheibe zu finden, die wie Elvis Presley aussieht. Man kann sich vorstellen, wie das die ansonsten eher stumpfsinnige Arbeit abwechslungsreicher macht. Aber nicht nur das, ich bleibe bei dem für mich entscheidenden Punkt: Sich selbst die Aufgabe interessant zu machen ist überlebenswichtig, es ist ein wirksames Mittel gegen Langeweile, und es gibt dem Ganzen einen Sinn. Ohne diesen selbstregulatorischen Trick würde man an entfremdeter Arbeit schlichtweg verzweifeln. 25 Denn wie Stressforschung zeigt: Burnout ist häufig nichts anderes als ein toxischer Cocktail aus Stress und Langeweile.
Ich habe in der Zeit meiner Fabrikarbeit viel über Motivation gelernt, und zwar von meinem Kollegen Ali. Ali hatte eine miese Kindheit und war stolz darauf, den Job in der Fabrik bekommen zu haben. Er war stolz auf sein Auto und darauf, sein eigenes Geld zu verdienen. Aber auch ihm war natürlich langweilig, und so dachte er sich immer wieder kleine Scherze aus. Mal stopfte er einen Zigarettenstummel zwischen die Plastikkorken und steigerte sich in die Vorstellung hinein, wie ein braungebrannter Schönling auf Sylt von dem Gerappel rammdösig würde. Wir experimentierten mit Glasscherben, Kugelschreiberfedern, Pralinen, Sand, Murmeln und toten Mäusen. Ich habe den Verdacht, dass die Kreativität, die aus Langweile entsteht, häufig nicht die beste ist. Insbesondere dann, wenn man das Gefühl hat, andere seien für die gestohlene Lebenszeit verantwortlich, ist man geneigt, sich an ihnen zu rächen. Manchmal war Ali aber auch im positiven Sinne kreativ. Damit ihm die Arbeit einfacher von der Hand ging, brachte er Vaseline mit und verdoppelte die Geschwindigkeit, mit der er arbeitete. Und nebenbei dichtete er immer kleine lustige Lieder für seinen Großvater, der nach einem Schlaganfall im Rollstuhl saß.
Aggressives Übersetzen zum Ziele
der besseren Völkerverständigung
Als ich 14 war, sprach ich recht gut Französisch und fuhr häufig zum Schüleraustausch nach Bayeux. Lübbecke und Bayeux waren eine Städtepartnerschaft eingegangen. Ziel des Ganzen war es, zu einer besseren Völkerverständigung zwischen Franzosen und Deutschen beizutragen. Immerhin spielt die Geschichte in den späten siebziger Jahren, als viele Franzosen die Deutschen noch für Nazis hielten; solche Vorurteile, so glaubte man, würden durch Städtepartnerschaften im Keim erstickt. Die Organisatoren, irgendwelche Amtmänner, waren jedoch vor allem deswegen von der Idee angetan, weil sie darauf hofften, sich auf Kosten der Stadt eine schöne Zeit im »exotischen« Frankreich machen zu können. Dieses Vorhaben musste schon allein deshalb scheitern, weil die französische Partnerstadt exakt die gleiche Struktur aufwies wie Lübbecke, sprich, das Angebot an Wein, Weib und Gesang war bescheiden; und außerdem regnete es dauernd, was schlussendlich dazu führte, dass sich die steuerfinanzierten Weltverbesserer einen Calvados nach dem anderen hinter die Binde kippten (strukturgleiches hochprozentiges Element in Ostwestfalen-Lippe: Bei jedem Wetter: Niederstädter!).
Aus irgendeinem Grund sprach keiner der Amtmänner Französisch, womit der Völkerverständigung natürliche Grenzen gesetzt waren. So nutzte ich die Gunst der Stunde, heuerte als Übersetzer an und wurde – nicht zuletzt wegen meiner langen blonden Locken – in der Lokalpresse schnell als der »Engel mit der flinken Zunge« bekannt. Das Übersetzen war nervtötend und höllenlangweilig. Ich musste haufenweise ätzende Vokabeln lernen: Begriffe wie Generationenvertrag, Darreichungsform, Burgmannshof, Gärungsprozess, Tiefbrunnenanlage und Krankenkassenbeitrag waren an der Tagesordnung, und beim Anblick der Amtmänner, die ständig hacke waren, die Sprache nicht beherrschten und unruhig wurden, sobald ich etwas nicht wusste, drehte sich mir regelmäßig der Magen um. Meistens aber induzierte das Geschwafel bleierne Langeweile. Meine Enttäuschung über den Job war grenzenlos – etwa so wie sich die Nordsee aus der Perspektive eines Sechsjährigen darstellt, der das Meer sehen will, und dann ist da stundenlang nur Watt.
Die vom Calvados-Suff geschwängerten,
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