Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen (German Edition)
Verbindung stehen. Allerdings wird ein Teil auch zur Sehrinde befördert. Entsprechend wird die Peroxidase bei Injektion in die Sehrinde in den Parietallappen zurücktransportiert, worin sich eine weitere wechselseitige Verbindung zeigt.
Insgesamt lassen diese Studien darauf schließen, dass die visuellen Signale, wenn wir die Handlungen anderer beobachten, auf ihrem Weg vom Auge eine Reihe visueller Verarbeitungsschritte durchlaufen, die zur Aktivierung von visuellen Neuronen im Temporallappen führen, wo Neuronen auf den Anblick von Körperbewegungen und Gesichtsausdrücken reagieren. Von dort aus wandert das Signal zum Parietallappen und weiter zum prämotorischen Kortex. In diesen Durchgangsstationen wird die visuelle Information in eine zunehmend motorische Information übersetzt, da sich sowohl im parietalen als auch im prämotorischen Areal Spiegelneuronen befinden, die auch während der motorischen Ausführung aktiv sind. In dieser Phase scheint ein gegenläufiger Informationsfluss stattzufinden. Die motorische Aktivität im prämotorischen und parietalen Areal wird an die Sehrinde zurückgeschickt, um die erwarteten Handlungsfolgen zu löschen.
Spiegelneuronen verwenden dieses System, um die Zusammenarbeit mit anderen Menschen zu bahnen. Würde ich Sie beispielsweise bitten, einen gedeckten Esstisch mit mir zusammen an eine andere Stelle zu tragen, muss er waagerecht gehalten werden. Ich beginne, den Tisch zu heben, was einen Informationsfluss von meinen prämotorischen Arealen zu meiner Sehrinde auslöst. Gleichzeitig sehe ich, wie auch Sie beginnen, den Tisch anzuheben, wodurch ein Informationsfluss von Ihrem prämotorischen Kortex zu Ihrem Körper in Gang gesetzt wird – und von dort zu meinen Augen, meiner Sehrinde und meinen prämotorischen Neuronen. Wenn ich sehe, wie Sie heben, werden meine Hebe-Spiegelneuronen aktiviert, wodurch meine korrekte Reaktion gebahnt wird – den Tisch etwas höher zu heben, damit er waagerecht bleibt –, was wiederum dazu führt, dass Information von meinem prämotorischen Kortex zu meiner Sehrinde fließt, aber auch von meinem prämotorischen Kortex zu Ihrer Sehrinde, während Sie meine Bewegungen verfolgen und so fort. Dabei handelt es sich weniger um einen sequenziellen Informationsaustausch als vielmehr um einen einzigen Regelungsprozess, in dem zwei Gehirne zusammengeschaltet sind. Dabei sind unsere Gehirne deshalb miteinander verbunden, weil Spiegelneuronen in ganz besonderer Weise für Handlungen und für die Wahrnehmung der Handlungen anderer verantwortlich sind. Aus der Sicht des Gehirns wird die aus Körpern und dem Tisch bestehende Außenwelt zu einer Schnittstelle zwischen unseren Gehirnen, und der komplexe Informationsfluss ist so fein abgestimmt, dass es uns häufig gelingt, nicht einen einzigen Tropfen Wein aus den Gläsern auf dem Esstisch zu verschütten.
Jahrmillionen Evolution haben dieses hochempfindliche System hervorgebracht, das uns ermöglicht zu tun, was wir niemals allein tun könnten – ein gewaltiger evolutionärer Fortschritt. Anfangs mögen diese Interaktionen dazu gedient haben, schwere Gegenstände zu bewegen, Großwild zu jagen oder Verteidigungsmaßnahmen zu koordinieren. Jetzt nutzen wir sie, um in Arbeitsgruppen, die Tausende von Menschen umfassen, Spaceshuttles zu bauen und unsere technische Kultur weiterzuentwickeln, indem wir zusammenarbeiten und voneinander lernen.
Empathische Menschen spiegeln mehr
Aus dem Konzept des Spiegelsystems folgt, dass empathische Menschen ein stärkeres Spiegelsystem haben müssten. Wir sind nicht alle gleich empathisch. Einige Leute schauen sich Filme wie Dr. No an, ohne das geringste Unbehagen zu empfinden, während die Spinne über Bonds Brust krabbelt. Andere sind davon so mitgenommen, dass sie sich abwenden oder sich die Augen zuhalten müssen. Wie empathisch sind Sie? Wenn Sie zum Anhang I am Ende des Buchs vorblättern, können Sie einen Fragebogen ausfüllen, den Mark Davis von der University of Texas in Austin entwickelt hat. 14, 15 Anhand Ihrer Antworten können Sie dem Test entnehmen, wie empathisch Sie sind.
Abbildung 3.3
Menschen mit hohen Werten für Perspektivenübernahme aktivieren ihr Spiegelsystem intensiv, während sie das Geräusch von Handlungen anderer hören (links). Bei Menschen mit niedrigen Werten für Perspektivenübernahme ist diese Aktivierung hingegen weit geringer (rechts).
Wenn Sie einen sehr hohen Empathiewert erzielen, können Sie von der Annahme ausgehen, dass
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