Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen (German Edition)
die Spiegelneuronen in Ihrem Gehirn die Handlungen anderer Menschen sehr intensiv spiegeln. Ist der Wert niedrig, dürfen Sie von dem Gegenteil ausgehen. Wir sind nämlich zu genau diesen Ergebnissen gekommen. 9 Wir ließen Joyce und die anderen Teilnehmer unseres f MRT -Experiments den gleichen Fragebogen ausfüllen. Dann suchten wir die sechs Versuchspersonen heraus, die die höchsten Werte auf der Perspektivenübernahme-Skala erzielt hatten, außerdem die sechs mit den niedrigsten Werten und maßen, inwieweit beide Untergruppen eigenes Handeln aktivierten, während sie dem Handeln anderer lauschten. Die Ergebnisse waren verblüffend. Während die sechs Teilnehmer mit den höchsten Werten für Perspektivenübernahme heftige Spiegelaktivierungen in Regionen für Handtätigkeiten zeigten, ließen die sechs Teilnehmer mit den niedrigsten Werten für Perspektivenübernahme überhaupt keine signifikante Spiegelaktivität erkennen (vgl. Abbildung 3.3). 9 Damit war zum ersten Mal bewiesen, dass Unterschiede im Spiegelsystem für Handlungen davon abhängen, wie leicht sich Menschen in die Lage anderer versetzen können.
Interessanterweise sagten nicht alle Aspekte der Empathie gleich gut vorher, ob bei einem Versuchsteilnehmer starke Aktivierungen im Spiegelsystem auftreten werden. Im Unterschied zur Perspektivenübernahme-Skala hatten die emotionalen Empathie-Aspekte, die von den Unterskalen für emotionale Beteiligung und persönliche Betroffenheit erfasst wurden, geringeren Vorhersagewert für die Frage, ob die Teilnehmer starke oder schwache Aktivierungen haben würden. Aktivierungen im Spiegelsystem für Handlungen scheinen also mehr damit zu tun zu haben, ob wir die Ziele und Beweggründe anderer verstehen, als mit der Frage, ob wir ihren Schmerz oder Kummer teilen.
Wenn Sie niedrige Werte auf der Perspektivenübernahme-Skala erzielen, bedeutet das nicht, dass Sie kein Spiegelsystem haben. Wenn Sie wirklich versuchen, das zu fühlen, was Sie fühlen würden, wenn Sie die gehörte Handlung ausführten, würde Ihr Spiegelsystem aktiv werden. Doch wenn Sie das nicht versuchen, ziehen empathischere Menschen ihre eigenen Handlungen stärker heran.
Allerdings verstehen wir noch nicht, in welcher Weise ein Wert auf einer Perspektivenübernahme-Skala mit der Aktivität in Ihrem Spiegelsystem verknüpft ist. Spiegelneuronen sind das Ergebnis eines bestimmten Verschaltungsmusters zwischen visuellen, auditiven und motorischen Regionen des Gehirns. Je stärker die Verbindungen sind, desto selbstverständlicher empfinden wir möglicherweise die Handlungen anderer mit und desto mehr drängt es uns, die Dinge aus ihrer Perspektive zu sehen. Nach dieser Auffassung haben die Menschen, die bei Gewaltszenen im Kino wegschauen, stärkere Verbindungen.
Andererseits könnte es sein, dass die Grundverschaltungen nicht entscheidend sind. Vielleicht wird unser Mitempfinden von Handlungen durch andere Gehirnmechanismen wie zum Beispiel selektive Aufmerksamkeit vermittelt. Wenn Sie den Scheinwerfer Ihrer Aufmerksamkeit auf einen bestimmten Aspekt oder Ort der Welt oder auf Ihren eigenen Körper richten, wird die neuronale Reaktion auf die Objekte in diesem Fokus auf Kosten der neuronalen Repräsentationen anderer Aspekte verstärkt. Experimente an Affen zeigen in der Tat, wie stark die Wirkung selektiver Aufmerksamkeit sein kann. Wenn der Affe die Aufgabe hat, waagerechte Linien nicht zu beachten und nur auf einen Knopf zu drücken, wenn senkrechte Linien blinken, kommen in den visuellen Hirnarealen praktisch keine Reaktionen auf die nicht beachteten waagerechten Linien vor, als hätte die selektive Aufmerksamkeit die waagerechten Linien aus dem Bild gelöscht. 16 Dafür wird die Reaktion auf die senkrechten Linien verstärkt. Vielleicht schenken die Teilnehmer mit hohen Werten für Perspektivenübernahme den Handlungen anderer Menschen einfach mehr Aufmerksamkeit und unterstützen dadurch die Verarbeitung dieser Handlungen im visuellen und auditiven Kortex. Diese stärkeren Aktivierungen werden dann durch die Schaltkreise des Spiegelsystems geschickt, was intensivere Spiegelaktivierungen bewirkt, ohne dass dazu stärkere Verschaltungen erforderlich wären.
Diese beiden Möglichkeiten bedürfen weiterer Untersuchungen, weil sie unterschiedliche Konsequenzen für die Frage haben, inwieweit wir die Reaktionsstärke in unserem Spiegelsystem beeinflussen können. Verschaltungen lassen sich nur schwer verändern, während sich Aufmerksamkeit
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