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Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen (German Edition)

Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen (German Edition)

Titel: Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Keysers
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wieder geübt hat.
    Die Entdeckung des Spiegelsystems liefert also eine neue Erklärung für die allgemein bekannte Erfahrung, dass man eine Sportart, die man gerade gelernt hat, im Fernsehen interessierter anschaut als früher. Zwar können wir die Grundbewegungen von Sportarten und Tätigkeiten wahrnehmen, die wir nie ausgeübt haben, doch Tätigkeiten, die wir erlernt haben, nehmen wir viel komplexer wahr.
    Ich entsinne mich, wie sich meine Fechtkurse auf mich auswirkten. Schon bevor ich es lernte, habe ich die Fechtwettkämpfe während der Olympischen Spiele fasziniert verfolgt, verstand aber nicht genau, was vor sich ging. Alles blieb verschwommen. Nach zwei Jahren Fechtunterricht bin ich noch immer kein Schwertkämpfer, aber meine Wahrnehmung hat sich mit meinen Fertigkeiten verbessert. Heute sehe ich viel deutlicher, was die Fechter machen. Ihre Bewegungen bekamen Bedeutung für mich – und manchmal finde ich es fast unmöglich, mich nicht zu bewegen, wenn ich einen besonders raffinierten Ausfall sehe. Teile meines Körpers scheinen meinen Augen zu helfen, damit sie sehen, was sie zuvor nicht sehen konnten.
    Wie motorische Fertigkeiten unsere Wahrnehmung schärfen, wurde unlängst an Basketballspielern gezeigt. Ein Forschungsteam unter Leitung von Salvatore Maria Agliotti an der Universität Rom forderte sehr gute Basketballspieler auf, sich die Freiwürfe anderer Spieler anzuschauen. Sie sollten so früh wie möglich sagen, ob der Ball im Korb landen würde oder nicht. Vor die gleiche Aufgabe stellten die Forscher Versuchspersonen, die kundige Basketballzuschauer waren, aber wenig motorische Erfahrung mit dem Spiel hatten (Trainer und Sportjournalisten). Eine dritte Gruppe bestand aus vollkommenen Laien. Es zeigte sich, dass die Vorhersagen der Trainer und Journalisten genauer waren als die der Laien, dass aber die Spieler das Ergebnis am genauesten prognostizierten. Nur die Spieler schienen in der Lage zu sein, den Erfolg eines Wurfs in dem Augenblick vorauszusagen, da der Ball die Hand des Spielers verließ. Während die anderen Betrachter sich bei ihrer Antwort nach der Wurfbahn des Balls zu richten schienen, konnten die Spitzenspieler, gestützt auf ihre motorische Erfahrung, die Vorhersage aus den Bewegungen der beobachteten Spieler ableiten. Ähnlich wie Lisa Aziz-Zadeh bei den Geräuschen von Handlungen vermochten die römischen Forscher mit Hilfe der transkraniellen Magnetstimulation nachzuweisen, dass die genaueren Vorhersagen der Spitzenspieler von einer stärkeren Aktivierung ihres für die Repräsentation von Handbewegungen zuständigen Spiegelsystems begleitet waren.
    Aus diesen Beobachtungen lassen sich einige einfache Ratschläge gewinnen. Wenn Sie bestimmte Handlungen anderer Individuen wirklich verstehen wollen, sollten Sie sie nicht einfach untersuchen, sondern die dazugehörigen Fertigkeiten erwerben. Schiedsrichter, Musikkritiker, Sporttherapeuten und viele ähnliche Berufsgruppen sollten sich die Erkenntnis zu eigen machen, dass es eine enge kausale Beziehung zwischen ihren motorischen Fertigkeiten und ihrer Wahrnehmung gibt.
    Der Spiegel in unserem Gehirn reagiert sogar auf Roboter
    Wenn wir uns die Star-Wars -Saga ansehen, schreiben die meisten von uns R2D2 und C3P0 ein ganzes Spektrum menschlicher Gefühle zu, obwohl wir eigentlich wissen, dass Roboter von Computern gesteuert werden, die keine Gefühle haben. Bei anderen Menschen spüren wir intuitiv, dass sie ein ähnliches Innenleben haben wie wir selbst, daher unterstellen wir ihnen die Gefühle, die wir beim Ausführen bestimmter Handlungen empfinden, wenn wir beobachten, wie andere sie verrichten. Unsere Gruppe beschloss zu untersuchen, was unser Gehirn macht, wenn es die Handlungen von Robotern sieht.
    Wieder im Labor, zeigten wir unseren Versuchsteilnehmern, unter ihnen auch Joyce, Filme, in denen nicht nur Menschen bei alltäglichen Handlungen zu sehen waren, sondern auch ein Industrieroboter bei den gleichen Tätigkeiten. Der Roboter ergriff eine Tasse Kaffee und ein Glas Wein, schöpfte Suppe aus einer Schüssel, ging dabei aber nach Art von Industrierobotern zu Werke: mit zielstrebigen Bewegungen von konstanter Geschwindigkeit. Seine Klaue hatte größere Ähnlichkeit mit R2D2s Arm als mit einer menschlichen Hand. Wir überprüften, ob das menschliche Spiegelsystem auf den Film eines nach einem Glas greifenden Industrieroboters genauso reagiert wie auf den Film, der einen anderen Menschen zeigt.
    Die Antwort lautet: Ja. 19

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