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Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen (German Edition)

Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen (German Edition)

Titel: Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Keysers
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Kitzeln. Wenn Sarah-Jayne eine Verzögerung zwischen die Bewegung des Joysticks und des Roboters einschob, konnten die Versuchspersonen sich plötzlich selbst kitzeln, was darauf schließen lässt, dass die Löschung unserer eigenen Bewegungen ein sehr selektiver Prozess ist, der die detaillierten Konsequenzen unseres Handelns aus unserem sensorischen Input entfernt. Werden die Konsequenzen jedoch zeitlich verzögert, sind sie dem selektiven Filterprozess (Gating) entzogen, und wir können uns selbst kitzeln.
    Interessant an dieser Löschung ist der Umstand, dass sie einen Prozess erfordert, der umgekehrt zu dem von den Spiegelneuronen verwendeten Prozess verläuft. Spiegelheuronen übersetzen einen sensorischen Reiz (eine Handlung, die ich sehe) in ein motorisches Vokabular (die Handlung, die ich ausführen kann). Doch um die Konsequenzen meiner eigenen Bewegungen zu löschen, muss das Gehirn ein motorisches Verhalten, das ich plane, in das sensorische Vokabular dessen, was ich sehen werde, übersetzen, um es von einer visuellen Beschreibung abzutrennen. So muss das Gehirn zwischen motorischen und sensorischen Wörterverzeichnissen hin- und herübersetzen. Das hat einen zusätzlichen Vorteil: Wenn unsere Bewegung nicht unseren Erwartungen entspricht, werden die Aspekte entfernt, die wir erwartet haben, während diejenigen, die wir nicht vorhergesagt haben, ungelöscht und hervorgehoben bleiben, sodass wir eine wertvolle »Fehlermeldung« erhalten. Ich entsinne mich, dass ich eines Morgens neben Valeria aufwachte und feststellte, dass wir auf dem Rücken lagen und unsere Beine ineinander verschlungen hatten. Ich sah auf unsere Füße und war überzeugt, dass ein bestimmter Fuß zu mir gehörte. Als ich versuchte, mit ihm zu wackeln, bewegte sich ein anderer Fuß! Das war ein höchst merkwürdiger, überraschender Anblick. Mein motorisches Programm hatte die Bewegung des falschen Fußes irgendwie gelöscht und den Anblick dieses anderen, wackelnden Fußes seltsam hervorgehoben.
    Der gesamte Spiegelschaltkreis besteht folglich aus einem Kernkreis mit einem prämotorischen und einem parietalen Areal, die Spiegelneuronen enthalten, und einem dritten Areal im Temporallappen, das mit den beiden anderen eng verbunden ist. Dieses Areal im Temporallappen liefert visuellen Input an die Kernareale des Spiegelsystems und erhält dafür Informationen über motorische Absichten, mit deren Hilfe erwartete visuelle Konsequenzen gelöscht werden. Diese Situation hat große Ähnlichkeit mit der des Affen (Abbildung 3.2), was zu der Annahme berechtigt, dass die Spiegelsysteme der Makaken und Menschen tatsächlich auf einen gemeinsamen Vorfahren zurückgehen dürften. Angesichts der Tatsache, dass die Funktion eines Neurons, wie gesehen, von seinen Verschaltungen bestimmt wird, müssen wir, um das Spiegelsystem zu verstehen, herausfinden, welche Verbindungen den Neuronen in diesem System ermöglichen, Spiegeleigenschaften zu haben.

    Abbildung 3.2
    Sowohl bei Menschen (links) als auch bei Affen (rechts) gehören zum Spiegelneuronensystem ein visuelles Areal höherer Ebene im Temporallappen (1), ein parietales Areal (2) und der prämotorische Kortex (3). Wir wissen, dass es beim Affen neuronale Verschaltungen zwischen 1 und 2 sowie 2 und 3, nicht aber zwischen 1 und 3 gibt.
    Die Frage, wie Spiegelneuronen Input bekommen, ist nicht trivial. Bei Affen lassen sich neuronale Verschaltungen mit sehr genauen Methoden untersuchen. Bei einer Technik wird die Pflanze Meerrettich verwendet; sie enthält das Enzym Meerrettichperoxidase ( HRP , von engl. horseradish peroxidase ), das die besondere Eigenschaft besitzt, von Neuronen aufgenommen und von ihnen entgegengesetzt zum normalen Informationsfluss transportiert zu werden. Neuronen summieren die eintreffenden Signale in ihrem Zellkörper, und wenn diese Summe einen bestimmten Schwellenwert überschreitet, schicken sie über ihre Axone ein Aktionspotenzial hinaus, das an einer Synapse endet, wo die Aktivität an das nächste Neuron übertragen wird. Dagegen wird HRP vom Neuron in die entgegengesetzte Richtung transportiert – von der synaptischen Endigung über das Axon zurück zum Zellkörper. Wenn Sie HRP in den prämotorischen Kortex eines Affen injizieren, wird sie zum Parietallappen zurücktransportiert. Injizieren Sie sie in den Parietallappen, wird sie interessanterweise großenteils in den prämotorischen Kortex transportiert, was zeigt, dass die beiden Regionen in wechselseitiger

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