Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen (German Edition)
haben Sie in Ihrer Lall-Phase vermutlich Laute erzeugt, die sich ein wenig wie das Brüllen eines Löwens anhörten. Wenn Sie dann einen Löwen brüllen hören, assoziieren Ihre Spiegelneuronen mit dem motorischen Programm für die sprachliche Äußerung »brüllen« den Laut und das Vorstellungsbild eines Löwen.
Bei anderen Wörtern ist die Verknüpfung schwieriger. Wenn das Kind seine ersten Schritte macht und die Eltern rufen: »Schau nur, du gehst! Du gehst!«, so hat das Wort keine akustische Ähnlichkeit mit der Tätigkeit. Durch einen ähnlichen Assoziationsprozess kann der Laut des Wortes – sofern die Eltern es oft genug wiederholen, während das Kind die Handlung ausführt – mit dem motorischen Programm verknüpft werden. Die Zellen, die auf diese Assoziationen reagieren, sind also keine auditiven Spiegelneuronen im eigentlichen Sinne mehr, weil sie nicht auf die Verrichtung einer Tätigkeit und das Geräusch dieser Tätigkeit reagieren, doch der Assoziationsmechanismus ist ähnlich. Ein Affengehirn, das Tätigkeiten mit ihren Geräuschen assoziieren kann, wäre ein guter Ausgangspunkt für die Assoziation von Handlungen mit Sprachlauten.
Tatsächlich belegen inzwischen f MRT -Daten, dass ein englischer Sprecher, wenn er das Wort lick (»lecken«) hört, den Teil seines prämotorischen Kortex aktiviert, den er auch für Mundbewegungen nutzt; hört er das Wort kick (»treten«), aktiviert er die prämotorischen Repräsentationen seiner Fußbewegungen, und wenn er das Wort pick (»pflücken«) vernimmt, mobilisiert er die Repräsentationen seiner Handtätigkeiten. 42 Alle diese Aktivierungen finden in Regionen mit Spiegelneuronen statt, die auf den Anblick ebendieser Tätigkeiten reagieren.
Drittens müssen wir die Bedeutung von Wörtern für Dinge der Außenwelt lernen – wie beispielsweise das Wort »Speer« aus unserem evolutionären Szenario. Dabei ist ein entscheidender Aspekt die sogenannte gemeinsame Aufmerksamkeit. Wenn Sie sähen, dass ich einen Punkt unmittelbar über Ihrem Kopf fixierte, würden Sie sich umdrehen, um zu sehen, wohin ich blicke. Wenn ich auf einen Speer deutete, würden Sie schauen, worauf ich zeige, und den Speer sehen. Ob Spiegelneuronen bei dieser Konvergenz der Aufmerksamkeit eine Rolle spielen, ist unklar, doch Michael Platt und Stephen Shepherd von der Duke University haben im Affengehirn die Aktivität von Neuronen aufgezeichnet, die Augenbewegungen steuern. Zu ihrer Überraschung stellten sie fest, dass einige dieser Neuronen nicht nur aktiv sind, wenn der Affe die Augen bewegt, sondern auch, wenn er sieht, wie ein anderes Tier seine Augen bewegt – als gäbe es eine unmittelbare, spiegelartige Verbindung zwischen dem Anblick von Augenbewegungen anderer und den eigenen. Ein solcher Neuronentyp könnte, wenn Sie sähen, wie jemand seine Augen bewegt, um ein Objekt anzublicken, direkt veranlassen, dass Sie in die gleiche Richtung blicken, mit anderen Worten: Ihre Aufmerksamkeit auf dasselbe Objekt richten.
Ein solcher spiegelartiger Aufmerksamkeitsmechanismus könnte das Kind dazu bringen, das Objekt anzusehen, auf das die Aufmerksamkeit der Eltern gerichtet ist, und umgekehrt. Wir teilen dieses den Blick ausrichtende Spiegelverhalten mit Affen. Als das Konzept des Spiegelns auf die Aufmerksamkeit übergriff, hat es also den frühmenschlichen Geist darauf vorbereitet zu verstehen, dass die von anderen geäußerten Wörter mit dem Objekt ihrer – und nun auch der eigenen Aufmerksamkeit – verknüpft sind. Nun kann das Kind den Laut des Wortes »Speer« mit den für einen Speer charakteristischen sensorischen Eigenschaften verknüpfen.
Ein Speer gehört zur Sondergruppe der Gegenstände, die sich handhaben lassen – wie Tassen, Hämmer und Spielzeuge. Diese Gegenstände haben alle praktischen Nutzen: Ein Hammer dient zum Hämmern, ein Speer zum Speerwerfen. In den achtziger Jahren – vor der Entdeckung der Spiegelneuronen – beobachteten Giacomo Rizzolatti und seine Kollegen in Parma, dass einige der für das Greifen verantwortlichen prämotorischen Neuronen reagierten, während der Affe einen für diese Handlung angemessenen Gegenstand sah. Das galt auch, wenn der Affe die Handlung in diesem Augenblick nicht ausführte. 43 Die Forscher nannten diese Zellen »kanonische Neuronen«.
Kanonische Neuronen unterscheiden sich von Spiegelneuronen. Zwar feuern sowohl kanonische als auch Spiegelneuronen, wenn der Affe selbst Gegenstände handhabt, doch nur kanonische
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