Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen (German Edition)
Neuronen reagieren auch auf den Anblick eines Gegenstands , für den diese Handhabung bestimmt ist, und nur Spiegelneuronen reagieren auf den Anblick eines diese Tätigkeit verrichtenden Individuums .
Kanonische Neuronen könnten bei der Bedeutungszuweisung für Objekte wie Hämmer und Speere besonders wichtig sein, weil sie motorische Programme für bestimmte Gegenstände aktivieren, und diese Programme (zum Beispiel Hämmern oder Speerwerfen) erfüllen das Objekt mit pragmatischer Bedeutung. Diese pragmatischen Wissenseinheiten werden in der Nachbarschaft von Spiegelneuronen encodiert, die ihrerseits den Laut und das motorische Programm für das willkürliche Wort speichern. Wenn also jemand den Speer anblickt und ihn »Speer« nennt, begnügt sich das Gehirn des Beobachters nicht nur damit, »Speer« zu hören und das Objekt zu sehen, sondern aktiviert auch gleichzeitig das motorische Programm für die Äußerung von »Speer« (dank seiner Spiegelneuronen) sowie das Programm zur Verwendung eines Speers (dank seiner kanonischen Neuronen). Das gemeinsame Vorkommen von vier Elementen kann sie nach Pawlow’scher Manier miteinander verknüpfen und dem Wort Bedeutung verleihen.
Affen verfügen bereits über kanonische und Spiegelneuronen, lassen im Gegensatz zu Menschen aber keinen Trieb erkennen, Dinge zu bezeichnen. Katzen haben einen Jagdtrieb und als Jungtiere einen Trieb zu Jagdspielen. Durch das spielerische Verhalten werden sie zu geschickten Jägern und machen das Beste aus den Jagdanlagen ihres Körpers.
Menschen haben einen Trieb oder Drang, Dinge beim Namen zu nennen. Zweijährige fragen ihre Eltern unaufhörlich »Wie heißt das?« Dieser Drang sorgt zusammen mit dem Lall-Trieb dafür, dass sie in wenigen Jahren eintausend Wörter lernen.
Dagegen zeigen Tier- und Menschenaffen nicht das geringste Interesse an Wörtern. In den siebziger Jahren versuchte der Psychologe Herbert Terrace von der Columbia University, Schimpansen das Sprechen beizubringen. Jeden Tag bemühte er sich mehrere Stunden lang, einem Schimpansen, den er »Nim Chimpsky« nannte (ein auf den bekannten Linguisten Noam Chomsky gemünztes Wortspiel, hatte dieser doch behauptet, nur Menschen hätten die Fähigkeit zum Sprechen), die Amerikanische Gebärdensprache beizubringen ( ALS nach American Sign Language ). Für diese gestische Sprachform hatte sich der Forscher entschieden, weil am Vokaltrakt der Schimpansen nicht die Veränderungen stattgefunden haben, die dem Menschen die Hervorbringung so vieler Phoneme ermöglichen und weil bisherige Versuche, Schimpansen das Sprechen beizubringen, vollkommen fehlgeschlagen waren.
Im Laufe der Jahre lernte Nim (je nach den angelegten Kriterien) zwischen fünfundzwanzig und hundertfünfundzwanzig Gebärden mit Bedeutungen zu verknüpfen. Sie bezeichneten Bananen, Essen und so fort. Einerseits war dieses Ergebnis ein Triumph, weil es unsere These untermauerte, dass das Primatengehirn in den Spiegel- und kanonischen Neuronen die Voraussetzung zum Spracherwerb besitzt. Andererseits belegt es grundlegende Unterschiede in der Motivation. Chimpsky zeigte nie einen ähnlichen Drang zum Wörterlernen, wie wir es von zweijährigen Kleinkindern kennen, und sein Vokabular verharrte auf dem Niveau, auf dem die Wortschatzentwicklung unserer Kinder erst eigentlich beginnt.
Diese Art sensomotorischer Assoziationen, die an Spiegelneuronen und kanonischen Neuronen von Affen zu beobachten sind, könnten also die Grundlage Nummer 3 bilden: Lernen, was Wörter bedeuten. Der Umstand, dass bei Affen solche Verknüpfungen in den auditiven Spiegelneuronen und den kanonischen Neuronen vorliegen, zeigt, dass das Gehirn zu solchen Assoziationen bereits fähig ist. Warum die anderen Primaten diese Gabe nicht zum Spracherwerb nutzen, ist noch weitgehend unklar, doch könnten Motivationsfaktoren eine wichtige Rolle spielen.
Grundlage Nr. 4: Die Grammatik des Handelns
Beschäftigen wir uns nun mit dem letzten Schritt unseres evolutionären Szenarios: der Entstehung der Grammatik. Die Grammatik ist ein ganz besonderes Merkmal der menschlichen Sprache. Zwar gelang es Nim Chimpsky am Ende, Wörter mit Bedeutungen zu verknüpfen, doch bislang hat noch kein Affe jemals grammatikalisches Verständnis bewiesen.
Für Menschen kann eine Anzahl Wörter je nach ihrer Reihenfolge sehr unterschiedliche Bedeutung annehmen. »Hund beißt Mann« ist keine Nachricht wert, »Mann beißt Hund« jedoch sehr wohl. Bis dahin ist Nim nie
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