Unser Mann in London
hohen Pässen, gewann 1998 unter Wenger mit elegantem Kurzpassspiel die Premier League und den berühmten englischen FA -Cup.
Arsène Wenger hat einmal gesagt, dass er verregnete Londoner Sonntage liebe: Da brauche er kein schlechtes Gewissen zu haben, wenn er an seinem freien Tag von mittags bis Mitternacht vor dem Fernseher sitze und ein Fußballspiel nach dem anderen anschaue. Mit dieser Besessenheit, Liebe und seinem besonderen Blick betrieb Wenger seinen Beruf. Im Trainingszentrum und auch im Mannschaftsbus schaffte er die Klimaanlagen ab. Er glaubte, sie brächten nur Erkältungen. In der Klubkantine gab es aus demselben Grund keine gekühlten Getränke. In den Sommermonaten fuhren wir dann leicht schwitzend im Bus zu den Auswärtsspielen, und so mancher Spieler versuchte, sich mit dem Arsenal-Koch gut zu stellen. Beiläufig fragten sie ihn dann, ob er in seinen Küchenkühlschränken nicht mal heimlich ein Wasser oder einen Saft kühl stellen konnte. Aber den Trainer bewunderten die Spieler wegen solcher Details umso inniger. Sein Wissen über unseren Sport war so viel tiefer als das der meisten Trainer und Spieler.
Nach langen Busfahrten zu Auswärtsspielen ging Wenger mit der Mannschaft im Hotel direkt in einen Konferenzraum. Dort legten sich die Spieler auf den Boden oder stellten sich an die Wand. Sie machten erst einmal zur Entspannung Gymnastik. Tony Adams, Arsenals Kapitän und bekennender Alkoholiker, spürte, wie sich sein Körper zunächst vor Zorn verspannte. Gymnastik! Sie waren doch kein Mädchenhockey-Team. Sie waren englische Fußballer! Später gehörte Adams zu jenen eingesessenen englischen Profis, die sagten, Arsène Wenger habe ihnen zwei, drei Jahre als Fußballer geschenkt. Nur dank seiner Trainingsmethoden sowie seiner Aufklärung über Ernährung und Lebensstil hätten sie ihre Karriere bis tief in die dreißiger Jahre fortsetzen können.
Wengers Training hatte nichts mit dem zu tun, was wir bis dahin kannten, egal ob wir aus Siegen-Bürbach oder Nordlondon kamen. Es bestand nahezu ausschließlich aus verschiedenen Kleinfeldspielen mit Ball, oft ohne Tore, bei denen es immer darum ging, das schnelle Passen, die Passfolge und die Laufwege zu trainieren. Die Idee dahinter war so simpel wie bahnbrechend: Je öfter ein Fußballer auf engstem Raum, unter schwierigen Bedingungen im Training den Ball spielte, desto besser wurde er. Lange Ausdauerläufe, wie damals im deutschen Fußball üblich, gab es nicht. Die Fußballer würden ihre Kondition genau wie ihre Schnelligkeit in den Kleinfeldspielen erlangen, ohne es zu merken. Der FC Barcelona war der andere große Prediger dieser Lehre. Heute, gut 15 Jahre später, sind angesichts von Arsenals und Barças Erfolg plötzlich die meisten im Fußball zu ihren Gläubigen geworden.
Ich war ein kleines Detail in Wengers großem Umsturz. Ohne ihn wäre ich nie nach London gekommen. Er hatte die Idee vom grenzenlosen Spiel, weshalb Arsenal Fußballer schon als Jugendliche aus der ganzen Welt nach London holen sollte. Ich war noch 17, ein Junge, als er mich am 1. November 2000 in der Profielf debütieren ließ.
Ich trug die Rückennummer 54. Das zeigte ganz gut, wie viele Spieler bei Arsenal eigentlich noch vor mir standen. Aber anders als die meisten Profitrainer schaute sich Wenger auch regelmäßig die Spiele der Jugendelf an; morgens an verregneten Sonntagen, wenn noch keine Profispiele im Fernsehen liefen. Im dritten nationalen Wettbewerb, dem Ligapokal, schickte er die Jungen, die ihm aufgefallen waren, gerne auf die Spielwiese.
«Hey, Volzy, bist du aufgeregt?»
Wir saßen mit der Mannschaft im Hotel. Zum Spiel in der dritten Runde des Ligapokals 2000/01 gegen den Zweitligisten Ipswich Town waren es noch ein paar Stunden.
«Wieso?»
«Na, du spielst von Anfang an.»
«Meint ihr wirklich?»
«Klar. Und, bist du nervös?»
«Eigentlich nicht», sagte ich und konnte vor Nervosität kaum schlucken.
Der Trainer rief uns zur Teamsitzung. Normalerweise dauern diese Taktikbesprechungen eine halbe Stunde, manche Trainer haben den Spielern vorher bereits individuell zugeschnittene DVD s mit Sequenzen ihres Gegenspielers gegeben. Bei Arsène Wenger waren die Besprechungen nach drei Minuten vorüber. Er nannte die Aufstellung – ich stand tatsächlich in der Startelf, im linken Mittelfeld – und gab einige klare, grundsätzliche Anweisungen: Im Mittelfeld bei Ballgewinn direkt in den Sturm spielen. Viel die Flügel nutzen. In zehn Minuten
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