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Unser Mann in London

Unser Mann in London

Titel: Unser Mann in London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Volz
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mich für Harry. Leider fanden wir niemanden. Wir flogen zurück auf meine Touristenroute – da quiekte das Funkgerät schon wieder. Ein Gewaltverbrecher mit Baseballmütze fliehe durch einen Park in North Finchley. Unser Pilot riss das Steuer herum. Doch auch hier blieben wir erfolglos, und meine Zeit war abgelaufen. Wir landeten in Battersea. John hatte dafür gesorgt, dass Anneke und ich die letzten Meilen nach Fulham auch noch nach Hause kamen. Ein gepanzerter Einsatzbus der Bereitschaftspolizei wartete auf uns. Das Blaulicht wollten sie aber trotz meines Drängelns nicht für mich einschalten.
    Mein Kumpel Patch feiert seinen Junggesellenabschied mit einem Kleinfeldmatch, Achtziger-Jahre-Retro-Look war Pflicht.
    Das Geburtstagsspiel für John im Park begann ich mit der ewigen Angst eines Profifußballers im Hinterkopf: War das Risiko nicht zu groß, dass ich mich auf diesem Kartoffelacker verletzte? Schließlich wirkten nicht alle Mitspieler so, als könnten sie den Ball und ihre Füße gleichzeitig kontrollieren. Nach zwei Spielminuten sah ich dann eines der schönsten Tore meiner Karriere: John lupfte den Ball von ganz weit außen aus spitzem Winkel gefühlvoll über den Torwart hinweg. Es wurde ein Spaß, und als es schließlich ins Elfmeterschießen ging, wagte ich mich zum ersten Mal seit meinem Fehlschuss mit 16 bei der Jugend-Europameisterschaft gegen Portugal wieder an einen Elfmeter. Als ich mir den Ball im South Park zurechtlegte, war ich wieder nervös. Was, wenn ich verschoss, dann hätte ich doch John den Geburtstag versaut. Der Druck beim Elfmeterschießen stellte sich offensichtlich unabhängig von der Bedeutung des Spiels ein. Denn hinter ihm verbarg sich immer die schreckliche Angst, andere zu enttäuschen, andere durch das eigene Versagen im Stich zu lassen.
    Vermutlich streckte ich, ohne es zu merken, wieder einmal die Zunge raus, als ich den Elfmeter für Johns Team verwandelt hatte.
     
    «Spiel doch auch mal bei mir mit», sagte Patch. Es war Sommer, der Profifußball machte Pause, und es juckte mich in den Füßen.
    Patch spielte jeden Montag mit Freunden in Wandsworth in einem der Käfige, die überall in London stehen. Kleine Kunstrasenplätze mit Handballtoren, die von engmaschigen Drahtzäunen umgeben sind, damit der Ball nicht auf das Spielfeld nebenan fliegt. Ich erfuhr dieselbe Behandlung wie vermutlich jeder Neuling: «Du gehst besser erst einmal ins Tor», sagten die Jungs zu mir. Patch und ich hatten ihnen nicht verraten, was ich beruflich tat.
    Ich verspürte kein gesteigertes Verlangen, mich wie ein Wahnsinniger nach den Bällen zu werfen und mir Verbrennungen auf dem Kunstrasen zuzuziehen, aber ich ging klaglos ins Tor und schaute mir das Spiel erst einmal an.
    Wir spielten 8 gegen 8 auf 30 mal 15 Metern. Es war die Spielwiese der Dribbler und Trickser. Ein Profifußballer spielt anders, ein Profi sucht immer den einfachen Pass, das schnelle Abspiel. Nach einigen Minuten durfte ich aus dem Tor. Jedes Mal, wenn ich am Ball war, spürte ich die taxierenden Blicke der Ballkönige. Nach einigen Minuten begannen sie mir Tipps zu geben: «Hier, wie heißt du noch mal, du bleibst besser mehr hinten.» – «Maurice, das war doch dein Name, oder, spiel nicht so überhastet ab, du hast Zeit.» – «Morris, wenn ich durch die Mitte komme, musst du dich rechts anbieten.» Meine sauberen, übersichtlichen Pässe waren in ihren Augen ja ganz okay, aber technisch hatte ich wohl nicht so viel drauf, oder warum dribbelte und trickste ich so wenig?
    Irgendwann brannte mein Ehrgeiz. Einer der Ballkönige vom Gegner hatte sein Tor zu übermütig gefeiert. Dem würde ich es zeigen. Ich wollte den Ball nehmen, vom Anstoß weg alle umdribbeln und das Spiel wieder auf Gleichstand bringen. Aber dann musste ich merken, dass man nicht auf Knopfdruck wie ein Premier-League-Spieler unter Ballzockern auftreten kann. Ich blieb im Kunstrasen hängen, stolperte, und schon hatten sie mir den Ball abgeluchst. «Maurice, lass den Scheiß!»
    Nach dem Spiel sagte ihnen Patch, übrigens, das ist Moritz Volz, er hat über 100 Spiele für Fulham in der Premier League absolviert. Eine Stille brach aus, in der man das Schlucken der Spieler hören konnte. In den Gesichtern glaubte ich ihre Gedanken lesen zu können. Ein paar waren peinlich berührt, dass sie mich so von oben herab belehrt hatten. Andere dachten, verdammt, ich habe mich gerade zum Affen gemacht, weil ich dem den Ball durch die Beine spielen

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