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Unser Mann in London

Unser Mann in London

Titel: Unser Mann in London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Volz
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brauchte keinerlei Überredungskunst, um Leddy und Patch zum Mitkommen zu bewegen.
    Vor dem Geburtstagsspiel für John im Park.
     
    Überall in London verwandeln sich die Parks sonntagmorgens in Fußballfelder. Die Spieler tragen ihre Tore aus mageren Eisenstangen selbst auf die Wiesen. An den Torbalken flattern als Erinnerung an all die vorherigen Schlachten massenweise bunte Klebstoffstreifen, mit denen die Tornetze jeden Sonntag wieder notdürftig festgemacht werden.
Sunday Pub League Football
nennen die Londoner die Spiele, weil etliche Gasthäuser ihre eigenen Teams haben (und weil für die meisten Mannschaften das Fußballmatch ein Vorwand ist, nachher in den Pub zu gehen). Abertausende Freizeitfußballer bevölkern jeden Sonntag die Parkwiesen, im zentralen Regent’s Park oder in den kleinen Nachbarschaftsparks wie unserem South Park genauso wie in den Hackney Marshes, dem größten Fußballpark Europas. 78 Spielfelder stehen dort Seitenlinie an Seitenlinie. Selbst der Horizont ist rasengrün.
    Die Mannschaften sind in Dutzenden Ligen ähnlich wie in Deutschland der Amateurfußball organisiert, und doch könnte der Londoner Pubfußball nicht weiter entfernt vom deutschen Kreisligasport sein. Die Teams heißen Shoreditch Feuerpinguine, FC Adam und Eva oder FC Verletztes Knie. Manchmal scheinen sie mächtige Firmen als Sponsoren zu haben, jedenfalls prangen auf ihren Trikots gelegentlich Firmenlogos. Aber das, klärte mich ein Freund auf, liege nur daran, dass es einen Second-Hand-Trikothandel gibt und manche Pubteams die nicht mehr gebrauchten Jerseys von Firmenteams aufkaufen. Es spielen Männer, manchmal auch Frauen, von 14 bis 74, und kurz vor Anpfiff scheinen sie alle dasselbe Alter zu haben: ewig jung. Der Pubfußball wirkt wie die ultimative Erinnerung, dass England das Mutterland des Fußballs ist. Die Partien sind eine einzige Hommage an die britischen Tugenden Leidenschaft und Exzentrik.
    Schon das Aufwärmen war eine Schau. Ein Torwart rauchte am Pfosten. Ein Stürmer band sich zum vierten Mal in zehn Minuten die Schnürsenkel, damit auch wirklich jeder bemerkte, dass er in den neusten David-Beckham-Fußballschuhen für 190 Pfund spielte.
    Nach wenigen Spielminuten erkannten Leddy, Patch und ich das ausgeklügelte System im Pubfußball. In der Abwehr standen immer die Dicksten, die am lautesten brüllen und vor allem den Ball am weitesten schießen konnten. Sie schrien ihre Offensivleute an: «Wer will ihn?», und dann droschen sie den Fußball mit voller Kraft in des Gegners Hälfte. Falls niemand ihrer Stürmer an den Ball kam, lag das niemals an der Qualität ihrer langen Pässe, sondern an der Feigheit der Angreifer; der Verteidiger hatte schließlich doch durch seinen verzweifelten Ruf «Wer will ihn?» schon klargemacht, dass er keine gute Anspielstation hatte. Die ganz coolen Verteidiger schrien manchmal auch «Spin!», bevor sie den Ball hoch nach vorne bolzten. Damit wollten sie den Stürmern sagen, dass sie den Ball bis hinter die gegnerische Abwehr schießen würden und der Stürmer sich also sofort um die eigene Achse drehen
(spin!)
und lossprinten sollte.
    Im Mittelfeld brauchte jedes Team, das etwas auf sich hielt, einen zähen Rothaarigen. Er rannte den langen Pässen des Verteidigers hinterher und versuchte den Ball aufzuschnappen, falls der Gegner ihn abprallen ließ. Kurz darauf rannte er wieder zurück, dem langen Pass des gegnerischen Verteidigers hinterher, um den Ball aufzulesen, falls seine Abwehrspieler den Pass abprallen ließen.
    Auf dem Flügel spielten die Forrest Gumps. Sie konnten unglaublich schnell sprinten, wenngleich manchmal nur geradeaus und ohne zu bremsen. Wenn sie einen langen Pass des Verteidigers erwischten, stürmten sie den Flügel hinunter, und alle schrien: «Bring den Ball in den Mixer!» oder auch: «Füttere den Bären!» Er sollte in den Strafraum flanken. Mein Lieblingsschrei war: «Den ganzen Tag lang!» Der Mann am Ball habe ewig viel Zeit und Spielraum, wollten ihm die Mitspieler damit vermitteln.
    Die Körpersprache der Spieler verriet, dass sie viel Champions League im Fernsehen schauten und sich vor ihrem geistigen Auge gerade selber für einen Profi hielten. Wie John Terry gab der bullige Verteidiger dem Mittelfeld mit den tanzenden Fingern der rechten Hand ein kurzes Zeichen, tiefer zu stehen. Weil es mit den Füßen nicht ganz so leicht hinhaute, versuchten sie, mit dem Mund umso mehr Profi zu spielen.
    «Werdet lebendiger,

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