Unser Mann in London
Jungs!»
«Tritt den Ball mit dem Hufeisen!»
«Das ist eine andere Soße!»
Vielleicht benutzt John Terry, der ehemalige Kapitän der englischen Nationalelf und ein echter Londoner Cockneyjunge, im Spiel gelegentlich tatsächlich noch Ausdrücke wie «Werdet lebendiger, Jungs!». Aber ansonsten muss ich die Pubfußballer desillusionieren: In der Regel wird Profifußball heutzutage schweigend gespielt. Wir lassen unsere Pässe reden. Wenn du einem Kollegen den Ball scharf und hart zupasst, weiß er automatisch, er hat einen Gegner direkt hinter sich. Wenn der Mittelstürmer zurückeilt, um sich dem linken Außenverteidiger als Anspielstation anzubieten, wissen alle, ohne zu schauen oder gar zu rufen, jetzt sprintet der rechte Außenverteidiger auf seinem Flügel hinunter und kann blind angespielt werden. Die Spielzüge sind mittlerweile derart einstudiert, dass dazu nichts mehr gesagt werden muss und auch kaum Zeit für Sprüche bleibt. Die Spieler, die im Profifußball heute noch während eines Matches reden, wollen nicht ihren Mitspielern helfen, sondern sich selbst. Das Gequassel beruhigt ihre Nerven.
Und dann gibt es natürlich noch die, die mit dem Gegner reden. «Arsenal-Ausschussware», hörte ich nach meinem Wechsel zu Fulham ein paar Mal von Gegenspielern, die mich aus dem Konzept bringen wollten. Wobei diese Art des Spottes in der Premier League deutlich seltener betrieben wird als in der Bundesliga. In Deutschland höre ich als Außenverteidiger regelmäßig von der Ersatzbank des Gegners: «Mann, du kannst ja gar nichts», «Boah, Volz, danke, du hast uns ja schon wieder den Ball zugespielt». Ganz selten begegnete ich Profis, die sich beim Premier-League-Spiel benahmen, als seien wir gerade beim Parkfußball. Benny McCarthy, der südafrikanische Stürmer von den Blackburn Rovers, fing ständig an zu quatschen, wenn der Ball weit entfernt war. Er wollte dann darüber reden, ob das eben nicht doch ein Foul gewesen wäre oder der Schiedsrichter einen dicken Hintern hätte.
Im South Park brüllten sie: «Wasser!» Und schon rannte ein Betreuer mit einem nassen Schwamm auf das Spielfeld. Einer der rothaarigen Mittelfeldwindhunde lag am Boden, er hatte einen fiesen Tritt in die Kniekehle abbekommen. Der Betreuer drückte den Schwamm auf die Kniekehle, auf die Stirn, in den Nacken des Rothaarigen, und dann ging es weiter. Die Szene wiederholte sich in unendlichen Sequenzen. Wann immer ein Spieler sich weh tat, erklang der schrille Schrei «Wasser!», der Schwamm kam, und egal, ob der Spieler eine Schürfwunde oder sich den Fuß verstaucht hatte, der magische Schwamm half immer. Wasser ist nach der medizinischen Lehre des Pubfußballs das Mittel gegen alles. «Lauf es raus», sagten die Mitspieler dann noch zum verletzten Spieler, sobald er wieder stand. Zehn Minuten humpelte er, aber er lief, er lief die Verletzung raus, und irgendwann schien er tatsächlich nichts mehr zu spüren. Nach 45 Spielminuten gab es dann die obligatorischen «Halbzeit-Orangen».
Der größte Held im englischen Fußball ist noch immer der Spieler, der hart gegen sich selbst ist. Aber selbst sonntagmorgens im South Park, wo die Pubfußballer ihren eigenen Mythos vom harten Mann lebten, wurde deutlich, dass diese Härte nicht Grobheit meint. Der harte englische Fußballer ist nur echt, wenn er immer auch respektvoll und fair bleibt. Wenn ein Pubspieler die tollsten Torchancen vergab, beschimpften ihn seine Mannschaftskollegen nicht, sondern riefen jedes Mal aufs Neue aufmunternd: «Pech gehabt, Kumpel!»
Wie hätte ich nein sagen können, als ich eingeladen wurde, beim Parkfußball mitzuspielen? Chefinspektor John Sutherland von der Polizei in Fulham, mit dem ich bei dem Projekt
Ein sichereres Viertel
zusammengearbeitet hatte, wünschte sich zu seinem 40. Geburtstag eine richtige Partie mit Schiedsrichter, Trikots und allen Freunden im South Park.
John schien ein Mann für ungewöhnliche Geschenke. Anneke und mir hatte er als Dank für meine Mitarbeit bei
Ein sichereres Viertel
einen Flug über London mit dem Polizeihubschrauber geschenkt. Seine Idee war, dass wir von oben einen Blick auf die Stadien Londons werfen könnten. Wir kamen bis zum Arsenal-Stadion. Dann meldete sich die Polizeizentrale über Funk und orderte uns zur Verbrecherjagd ab. Mit Film- und Infrarotkameras suchten wir über den dichten Reihenhaussiedlungen im East End nach flüchtigen Einbrechern. Für eine halbe Stunde hielt ich Anneke für Derrick und
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