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Unser Spiel

Unser Spiel

Titel: Unser Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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Dissertation glänzend weiß eingebundene und computergedruckte Broschüre mit dem Titel Martyrium eines Volkes . Ein rascher Blick hinein, mein erster: Als Verfasser waren drei Russen angegeben. Mataliew, Fargiew und Pliew. Übersetzt von keinem Geringeren als Larry persönlich. Ich stopfte mir das Ding unter den Pullover, platschte zur Küche zurück und trat wieder in die Nacht hinaus. Der Sturm hatte sich gelegt. Aus dem Bach stiegen trostlose Nebelschleier. Sah ich den Schatten eines Mannes auf dem Hang – eines großen Mannes, der von links nach rechts lief, flüchtend wie jemand, der sich ertappt fühlte? Ich gelangte zu meinem Versteck und spähte, bevor ich Licht machte, unruhig durch sämtliche Schießscharten, sah aber nichts, was ich einen lebenden Menschen zu nennen wagte. Dann setzte ich mich an den Tisch, schlug die weiße Broschüre auf und strich sie glatt. Diese Dozenten, so umständlich, so weitschweifig, so ohne Zeitgefühl. Bringen es fertig, in einer Minute über den Sinn des Sinns zu reden. Ich schlug ungeduldig die Seiten um. Na schön, noch eine unlösbare menschliche Tragödie, die Welt ist voll davon. Die Ränder verunstaltet von Larrys kindischen Kommentaren, vermutlich eigens für mich geschrieben: »vgl. die Palästinenser« – »typisch unverschämte Lüge Moskaus« – »Der wahnsinnige Schirinowski fordert, allen russischen Moslems sollen die Bürgerrechte entzogen werden«.
    Erst mit Verspätung erkannte ich das Schriftbild. Emmas elektrische Reiseschreibmaschine. Sie mußte das für ihn abgetippt haben, als sie in London waren. Und bei ihrer Rückkehr waren sie dann so aufmerksam, mir ein Freiexemplar zu schenken. Wie nett von ihnen.
    * **
    Wieder einmal kann ich Ihnen nicht sagen, wieviel ich inzwischen wußte oder mit welchem Nachdruck mein ungläubiger Geist noch immer einen Beweis für das verlangte, was ich zwar wußte, aber schlichtweg nicht glauben wollte. Ich weiß jedoch, daß, während ich einen Hinweis nach dem anderen entdeckte, meine erst vor kurzem abgeschüttelten Schuldgefühle zurückkehrten und ich mich selbst als Urheber ihrer Verrücktheit zu sehen begann; als Herausforderer und negativer Anstifter; als der typische Selbstgerechte, der mit seiner Intoleranz genau das herbeiführt, was er am meisten mißbilligt.
    * **
    Wir streiten, Cranmer gegen den Rest von England. Der Streit begann vorige Nacht, aber es gelang mir, ihn beizulegen. Beim Frühstück jedoch bricht die schwelende Asche wieder in Flammen aus, und diesmal gelingt es meinen freundlichen Worten nicht mehr, sie zu löschen. Diesmal reißt nicht Larry die Geduld, sondern Cranmer.
    Er hat mir, weil ich den Leiden dieser Welt so gleichgültig gegenüberstehe, harte Vorwürfe gemacht. Er ist dabei so weit gegangen, wie es die Höflichkeit noch zuläßt, und dann noch ein Stückchen weiter, als er behauptet, ich verkörpere sämtliche Fehler des moralisch abgestumpften Westens. Emma sagt zwar wenig, ist aber auf seiner Seite. Sie sitzt ernst da, die Handflächen offen vor sich, wie zum Beweis, daß sie nichts darin verborgen hat. Und jetzt reagiere ich mit geballter Präzision auf Larrys Attacke. Die beiden haben mich als Archetyp bürgerlicher Selbstzufriedenheit hingestellt. Bitte, das können sie haben. Und verstockt, wie ich bin, nehme ich den Mund ziemlich voll.
    Ich sage, daß ich mich nie für die Übel dieser Welt verantwortlich gefühlt habe, weder trage ich Schuld daran noch wolle ich ihnen abhelfen. Für mich sei die Welt wie eh und je ein von Wilden beherrschter Dschungel. Die meisten dieser Probleme seien unlösbar.
    Ich sage, für mich sei jeder stille Winkel dieser Welt, wie zum Beispiel Honeybrook, eine Zuflucht, die wir dem Rachen der Hölle entrissen haben. Und daher fände ich es unhöflich, wenn ein Gast hier mit einem solchen Katalog von Katastrophen an- käme.
    Ich sage, daß ich, wie schon in der Vergangenheit, auch in Zukunft stets bereit sein werde, für meine Nachbarn, Landsleute und Freunde Opfer zu bringen. Aber wenn es darum gehe, Barbaren vor einander zu retten, und das in Ländern, die nicht größer sind als ein Buchstabe auf der Landkarte, sähe ich nicht ein, warum ich in ein brennendes Haus stürmen sollte, um einen Hund zu retten, der mir noch nie etwas bedeutet habe.
    Ich sage das alles mit Leidenschaft, aber mein Herz ist nicht dabei, auch wenn ich mir das nicht anmerken lasse. Vielleicht gefällt es mir, allein gegen alle dazustehen. Zu unser beider Überraschung

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