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Unser Spiel

Unser Spiel

Titel: Unser Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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kämpfen.
    Heute nachmittag bin ich im Unterricht eingenickt und plötzlich dreihundert Jahre später aufgewacht. Helmut Kohl war Kanzler aller russischen Provinzen, Breschnew marschierte mit den bosnischen Serben in Berlin ein, und Margaret Thatcher stand am Ausgang und kassierte.
    Mit all dem will ich sagen: Ich liebe Dich, aber sei auf der Hut vor mir, denn von dort, wo ich hinwill, gibt es kaum noch ein Zurück. Amen und Ende.
    L.
     
    Ich baute mich vor Larrys grünem Regenmantel auf, den ich an einen Holzhaken an der Wand gehängt hatte. Auf dem Boden darunter standen die schlammverkrusteten Stiefel. Vor meinem inneren Auge sah ich sein melancholisches Lächeln.
    »Du verdammter wildgewordener Rattenfänger«, flüsterte ich. »Wo in Gottes Namen hast du sie hingebracht?«
    Ich habe sie in einem hohlen Berg im Kaukasus eingeschlossen, antwortete er. Ich habe sie nach den Gesetzen meiner Blutfehde gegen den Ungläubigen Tim Cranmer verführt. Ich habe sie auf dem weißen Hengst meiner Kasuistik mit mir fortgerissen.
    * **
    Ich erinnerte mich. Starrte den grünen Regenmantel an und erinnerte mich.
    »He, Timbo!«
    Schon diese Anrede macht mich fertig.
    »Ja, Larry.«
    Es ist ein verdammter Sonntag, unser letzter, wie ich jetzt sehe. Larry hat Emma von London hergebracht. Er war zufällig in der Stadt, er hatte zufällig ein Auto. Also hat er, anstatt allein nach Bath zu fahren, Emma zu mir gefahren. Wie er sie in London hat finden können, ist mir ein Rätsel. Und ich habe auch keine Ahnung, wie lange sie schon zusammen sind.
    »Gute Neuigkeiten«, erklärt Larry.
    »Wirklich? Wie schön.«
    »Ich habe Emma zu unserer Botschafterin am britischen Hof ernannt. Sie wird für ganz Amerika, Europa, Afrika und den größten Teil Asiens zuständig sein. Stimmt’s, Emm?«
    »Na großartig«, sage ich.
    »Ich habe ihr einen Kopierer besorgt. Jetzt brauchen wir nur noch das richtige Briefpapier, dann können wir den Vereinten Nationen beitreten. Stimmt’s, Emm?«
    »Na wunderbar«, sage ich.
    Aber mehr sage ich nicht, denn so hat er Cranmers Rolle festgelegt. Cranmer senkt freundlich den Blick. Ist tolerant und selbstlos. Läßt den Kindern ihren Idealismus und bleibt auf seiner Hausseite. Eine Rolle, die nicht leicht mit Würde zu spielen ist. Und vielleicht sieht Larry mir das an und empfindet, wenn nicht Schuldbewußtsein, so doch wenigstens Mitleid, denn er wirft mir einen Arm um die Schulter und drückt mich an sich.
    »Wir sind schon ein Pärchen, was, Timbo?«
    »So munkelt man«, sage ich, und Emma lächelt belustigt über unsere Freundschaft.
    »Hier. Lies dir das durch«, sagt Larry; er wühlt in seiner abgewetzten Reisetasche und reicht mir eine weiße Broschüre mit dem Titel Martyrium eines Volkes . Welchen Volkes, ist mir nicht klar. Unsere sonntäglichen Seminare der letzten Monate hatten so viele unlösbare Konflikte zum Thema, daß dieses Martyrium überall zwischen Osttimor und Alaska angesiedelt sein könnte.
    »Ich danke euch beiden sehr«, sage ich. »Das werde ich heute abend vor dem Schlafengehen lesen.«
    Aber kaum bin ich in meinem Arbeitszimmer, stopfe ich das Ding auf Nimmerwiedersehen in das Regal, wo ich all die ungenießbaren Pamphlete aufbewahre, die Larry mir im Lauf der Jahre aufgedrängt hat.
    * **
    Ich starrte ein Bild an.
    Ich stand vor dem Poster, das ich aus Emmas Liebesnest geholt und in meiner zölibatären Zelle auf einen krummen Nagel gespießt hatte.
    Wer zum Teufel bist du, Bashir Haji?
    Du bist UOF, unser Oberster Führer.
    Du bist Bashir Haji, denn mit diesem Namen hast du unterschrieben: Für meinen Freund Mischa , den großen Krieger .
    »Larry, du verrückter Scheißkerl«, sagte ich laut. »Du total verrückter Scheißkerl.«
    * **
    Ich rannte geduckt durch Regen und Dunkelheit zum Haus. Mich trieb etwas, das ich nicht unter Kontrolle hatte. Weit vorgebeugt, die Knie streiften mir das Kinn, sprang ich im Finstern den Abhang hinunter und über die Brücke, glitt aus, schlug hin und schürfte mir Knie und Ellbogen auf; über den Himmel rasten schwarze Wolkenmassen wie fliehende Armeen, der Regen klatschte in wilden Böen auf mich nieder. Endlich am Kücheneingang, sah ich mich, bevor ich das Haus betrat, erst noch einmal hastig um, konnte aber vor den dicht stehenden Bäumen kaum etwas erkennen. Mit durchweichten Schuhen hastete ich durch die Vorhalle und den gefliesten Flur zum Arbeitszimmer und fand, was ich in den Regalen hinter meinem Schreibtisch suchte: die wie eine

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