Unser Spiel
eingeschnappt.«
»Wie bist da hingekommen?«
»Per Anhalter. Flugzeug nach Ankara. Flugzeug nach Baku. Stückchen die Küste rauf. Links abgebogen. Kinderspiel.«
»Und was hast du da gemacht?«
»Alte Freunde besucht. Freunde von Freunden.«
»Tschetschenen?«
»Auch ein paar. Und einige von ihren Nachbarn.«
»Hast du der Firma Bescheid gesagt?«
»Wozu die damit belästigen? Weihnachtsreise. Schöne Berge. Frische Luft. Was geht die das an? Nimmt Emm Zucker in den Tee?«
Er ist schon halb aus der Küche, eine frische Tasse Tee in der Hand.
»He. Gib das mir«, sage ich scharf und nehme sie ihm ab. »Ich will sowieso nach oben.«
Grosny? sage ich mir immer wieder vor. Glaubt man den jüngsten Presseberichten aus dieser Region, ist Grosny heute eine der ungastlichsten Städte der Welt. Ich hätte gewettet, nicht einmal Larry würde es riskieren, sich von blutrünstigen Tschetschenen als Gegenmittel gegen englische Weihnachten opfern zu lassen. Lügt er also? Oder will er mich schockieren? Was sind das für alte Freunde, Freunde von Freunden, Nachbarn? Grosny, und was dann? Hat die Firma ihn reaktiviert, ohne es mir zu sagen? Ich will mich da nicht reinziehen lassen. Ich tue so, als habe das ganze Gespräch nicht stattgefunden. Und Larry verhält sich ebenso – bis auf sein verdammtes Lächeln und diese überlegene Ausstrahlung des Weitgereisten.
* **
»Emm ist einverstanden, mir ein bißchen Drecksarbeit abzunehmen«, sagt Larry, als wir an einem sonnigen Sonntagabend auf der oberen Terrasse herumschlendern. »Will mir bei ein paar meiner hoffnungslosen Fälle helfen. Du hast doch nichts dagegen?«
Inzwischen kommt er sonntags nicht nur zum Lunch. Manchmal sind wir drei zusammen so glücklich, daß Larry sich verpflichtet fühlt, auch noch zum Abendessen zu bleiben. Er besucht uns nun seit acht Wochen, und in dieser Zeit hat sich der Ablauf seiner Besuche vollständig geändert. Keine öden Geschichten mehr vom akademischen Schattendasein. Statt dessen haben wir den alten Larry wieder, Larry den Weltenträumer und Sonntagsprediger, der in einem Atemzug gegen die schändliche Trägheit des Westens wettert und schmalzige Visionen von altruistischen Kriegen einer UNO-Eingreiftruppe entwirft, die ermächtigt werden sollte, ihre Batman-Uniform anzuziehen, um jeglicher Tyrannei, Seuche und Hungersnot im Handumdrehen ein Ende zu machen. Und da ich nun einmal solche Phantasien für gefährlichen Unsinn halte, fällt mir die unglückliche Rolle des Hausskeptikers zu.
»Wen soll Emma denn retten?« frage ich übertrieben sarkastisch. »Die Araber in den Marschländern? Die Ozonschicht? Oder die armen Wale?«
Larry schlägt mir lachend auf die Schulter, was mich sofort wachsam werden läßt. »Alles auf einmal, blöder Kerl, nur um dich zu ärgern. Emm schafft das im Alleingang.«
Aber als seine Hand auf meiner Schulter liegenbleibt und ich sein allzu strahlendes Lächeln erwidere, beunruhigt mich etwas Wesentlicheres als sein Kosename für sie. Vordergründig sehe ich in seinem Lächeln die Verheißung eines mutwilligen, wenn auch harmlosen Wettbewerbs. Dahinter aber erkenne ich die Drohung einer bevorstehenden Abrechnung: »Du hast mich eingeschaltet, Timbo, weißt du noch?« sagt sein spöttischer Blick. »Aber das heißt noch lange nicht, daß du mich wieder ausschalten kannst.«
Ich befinde mich in einem Dilemma, und das habe ich meinem Gewissen oder, wie Larry es nennen würde, meinen Schuldgefühlen zu verdanken. Ich bin Larrys Freund, aber auch sein Erfinder. Und als sein Freund weiß ich, daß die sogenannten hoffnungslosen Fälle, mit denen er den Mief von Bath bekämpft – Schluß mit den Greueln in Ruanda, Laßt Bosnien nicht verbluten, Helft den Molukken! –, für ihn die einzige Möglichkeit darstellen, die Leere auszufüllen, die die Firma hinterlassen hat, als sie ihn zum alten Eisen warf und ohne ihn weitermachte.
»Na, ich hoffe, sie wird dir eine Hilfe sein«, sage ich großzügig. »Falls du noch mehr Büroraum brauchst, kannst du gern die Ställe haben.«
Doch als ich ein zweites Mal seine Miene studiere, gefällt sie mir kaum besser als beim erstenmal. Und als ich ein paar Tage später einen günstigen Augenblick nutzen und herausfinden will, in was genau er Emma hineingezogen hat, spielt ausgerechnet sie die Geheimnisvolle.
»Hat irgendwie mit Amnesty zu tun«, sagt sie, ohne von der Schreibmaschine aufzublicken.
»Na wunderbar. Und worum geht es – politische Häftlinge
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