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Unser Spiel

Unser Spiel

Titel: Unser Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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freizubekommen und so weiter?«
    »Es geht eigentlich um alles.« Sie tippt etwas.
    »Das ist ja eine ganze Menge«, sage ich unbeholfen, denn es ist ziemlich anstrengend, die Unterhaltung quer durch ihr ganzes Atelierzimmer aufrechtzuerhalten.
    * **
    Es ist viele Sonntage später, aber alle Sonntage sind zu einem verschmolzen. Erst sind es Larrys Tage, dann Larrys und Emmas Tage, dann die Hölle, die trotz all ihrer Variationen von erstickender Einförmigkeit ist. Genauer gesagt, es ist früh am Montagmorgen, das erste Licht scheint über den Mendips auf. Larry hat uns vor einer guten halben Stunde verlassen, aber das Rattern seines entsetzlichen Wagens, wie er klappernd und furzend die Zufahrt hinunterfährt, klingt mir noch immer in den Ohren, und Larrys freundlich gedämpftes »Schlaft schön, meine Lieben« ist ein Befehl, dem zu gehorchen mein Kopf sich hartnäckig weigert – bei Emma ist es offenbar nicht anders, denn sie steht, ein nackter Wachtposten, am Fenster meines Schlafzimmers und paßt auf, wie die schwarzen Wolkenballen vor dem feurigen Sonnenaufgang aufreißen und sich wieder zusammenschieben. In meinem ganzen Leben habe ich nie etwas so Unerreichbares oder Schönes gesehen wie Emma mit ihrem langen schwarzen Haar, das ihr über den Rücken fällt, als sie nackt in die Morgendämmerung blickt.
    » Genau das wünsche ich mir auch«, sagt sie in dem übertrieben begeisterten Plauderton, der mir allmählich verdächtig wird. »Ich möchte auseinanderbrechen und wieder neu zusammengesetzt werden.«
    »Deswegen bist du ja hier, Liebling«, erinnere ich sie.
    Aber sie will ihre Träume nicht mehr mit mir teilen.
    »Was ist eigentlich mit euch beiden?« sagt sie.
    » Wen meinst du?«
    Sie überhört das. Sie weiß, und ich weiß es, daß es in unserem Leben nur noch einen anderen gibt.
    » Wie eigentlich wart ihr befreundet?« fragt sie.
    »Wir waren kein Liebespaar, falls du das denken solltest.«
    »Vielleicht wäre das besser gewesen.«
    Manchmal ärgert mich ihre Toleranz. »Wieso?«
    »Dann hättet ihr es hinter euch gebracht. Die meisten englischen Eliteschüler, die ich kenne, hatten in ihrer Kindheit irgendwelche Liebesaffären mit anderen Jungen. Warst du nicht mal in ihn verknallt?«
    »Nicht daß ich wüßte. Nein.«
    »Vielleicht war er in dich verknallt. Du warst sein glänzender älterer Ritter. Sein großes Vorbild.«
    »Mußt du jetzt sarkastisch werden?«
    »Er sagt, du hast ihn sehr beeinflußt. Du hast ihm die Stichworte geliefert. Auch noch nach der Schule.«
    Sei es Handwerk, sei es verliebter Wahnsinn: Ich bin eiskalt. Kalt wie bei einem Einsatz. Hat Larry das Gesetz der Omertà gebrochen – hat Larry, nach zwanzig Jahren geheimdienstlicher Tätigkeit, meinem Mädchen etwas ausgeplaudert? Ihr die gleichen vordergründigen Formulierungen aufgetischt wie damals seinem leidgeprüften Führungsoffizier? Cranmer hat das Menschliche in mir pervertiert , Emma , Cranmer hat mich verführt , meine törichte Unschuld ausgebeutet , mich zum Lügner und Heuchler gemacht?
    »Was hat er dir sonst noch erzählt?« frage ich lächelnd.
    »Wieso? Gibt’s da noch mehr?« Sie ist noch immer nackt, aber jetzt wird ihr die Nacktheit unangenehm; sie nimmt eine Decke, wickelt sich hinein und setzt dann ihre Wache fort.
    »Ich möchte bloß wissen, wie mein schlechter Einfluß ausgesehen haben soll.«
    »Von schlecht hat er nichts gesagt. Das hast du gesagt.« Zur Abwechslung lacht sie jetzt einmal, wenn auch gezwungen. »Ich darf mich doch wohl fragen, ob ich zwischen euch beiden in der Falle sitze? Wahrscheinlich habt ihr zusammen im Gefängnis gesessen. Das würde erklären, warum das Finanzministerium dich mit siebenundvierzig rausgeschmissen hat.«
    Ich muß ihr zuliebe annehmen, daß das ein Witz sein soll; ein Ausweichen vor einem Thema, das außer Kontrolle zu geraten droht. Wahrscheinlich erwartet sie, daß ich jetzt lache. Aber plötzlich ist der Graben zwischen uns unüberbrückbar, und wir haben beide Angst. Noch nie sind wir so weit auseinander gewesen, noch nie waren wir so bewußt mit dem Unsagbaren konfrontiert.
    »Gehst du zu seinem Vortrag?« fragt sie in ei nem mißlungenen Versuch, das Thema zu wechseln.
    »Was für ein Vortrag? Ein Vortrag jeden Sonntag reicht mir eigentlich.«
    Ich weiß genau, welchen Vortrag sie meint. Er heißt »Der vergeudete Sieg: Westliche Außenpolitik seit 1988«, eine weitere Schmährede Pettifers auf den moralischen Bankrott der westlichen

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