Unser Spiel
daß er gut nach Hause gekommen ist; um ihn zu fragen, ob es in diesen Zeiten wirklich richtig sei, südafrikanische Trauben zu kaufen; um ihn daran zu erinnern, daß er versprochen habe, mit dem Dekan zu Abend zu essen oder nüchtern und korrekt bei einem Treffen der Kollegen zu erscheinen.
»Vielleicht hat er irgendein hübsches Mädchen aufgegabelt«, spekuliere ich hoffnungsvoller, als sie es sich wohl jemals vorstellen kann.
»Und warum sagt er uns nichts davon? Wenn’s sein muß, kann er das Flittchen ja mitbringen. Als ob uns das groß störte!«
»Natürlich nicht.«
»Ich kann bloß nicht den Gedanken ertragen, daß er allein ist.«
»Zu Weihnachten.«
»Immer. Wenn er aus dem Haus geht, habe ich einfach immer das Gefühl, daß er niemals wiederkommt. Er ist – ich weiß nicht –, irgendwie ist er in Gefahr.«
»Du wirst noch dahinterkommen, daß er nicht ganz so empfindlich ist, wie du glaubst«, sage ich, ebenfalls in Richtung Zimmerdecke.
In letzter Zeit fällt mir auf, daß wir ohne Blickkontakt besser miteinander reden können. Vielleicht können wir überhaupt nur so miteinander reden. »Zu früh alles erreicht, das ist Larrys Problem. An der Uni die große Leuchte, in der realen Welt ein Versager. Zwei oder drei solcher Typen hat es in meiner Generation gegeben. Aber die schlagen sich durch. Beziehungsweise können gut einstecken.«
Sei es nun Tarnung, sei es etwas Schäbigeres: In den letzten Wochen habe ich mich immer wieder dabei beobachtet, wie ich den geduldigen Guten Samariter spielte, während ich im tiefsten Herzen der schlimmste Samariter auf Erden bin.
Aber für heute abend hat Gott von meiner Falschheit genug: Denn kaum habe ich das gesagt, da höre ich auch schon nicht das Krähen eines Hahns, sondern Klopfgeräusche an einem Fenster im Parterre. Aber so deutlich – und so genau im Takt mit ihrer Lautenmusik –, daß ich mich eine Sekunde lang frage, ob das Klopfen womöglich nur in meinem Kopf ist, bis Emma ihre Hand aus meiner reißt, als hätte ich sie gestochen, und sie sich auf die Seite rollt und hinsetzt. Und wie Larry ruft sie nicht, sie spricht. Zu ihm. Als ob nicht ich neben ihr liege, sondern Larry. »Larry? Bist du’s? Larry?«
Und von unten vernehme ich nach dem Klopfen jene samtweiche Stimme, für die Schwerkraft und meterdicke Steinmauern keine Hindernisse sind und die dank dieser Fähigkeit in jedes Versteck einzudringen vermag. Gehört hat er Emma natürlich nicht. Ausgeschlossen. Er kann unmöglich wissen, wo wir uns aufhalten oder ob wir überhaupt zu Hause sind. Sicher, unten brennen ein paar Lampen, aber das mache ich immer, um Einbrecher abzuschrecken. Und mein Sunbeam steht unsichtbar in der verschlossenen Garage.
»He, Timbo. Emm. Liebe Leute . Laßt die Zugbrücke runter. Ich bin zurück. Kennt ihr noch Larry Pettifer, den großen Erzieher? Pettifer den Petomanen? Frohes neues Jahr. Frohes, frohes Was-ihr-wollt.«
Er nennt sie Emm. Sie hat nichts dagegen. Im Gegenteil, so langsam denke ich, sie betrachtet es als Auszeichnung.
* **
Und ich? Habe ich keinen Text in diesem Kabarett? Ist es nicht meine Rolle, meine Pflicht, ihm seinen Willen zu lassen? Muß ich nicht in mein Schlafzimmer stürzen, das Schiebefenster hochreißen und ihm zurufen: »Larry, da bist du ja, endlich – bist du allein? Hör zu, Emma hat’s am Rücken – bin gleich unten!« –, muß ich nicht entzückt sein, ihn willkommen heißen, meinen ältesten Freund, der am Silvesterabend so einsam ist? Ich, Timbo, sein Fels, der ihn zerschmettert hat, wie er zu sagen pflegt? Muß ich nicht nach unten rennen, die Außenbeleuchtung einschalten und, während ich die Schlösser entriegle, durch den Spion seine im Dunkeln schwankende byronische Gestalt betrachten? Muß ich nicht, unseren neuen Gepflogenheiten entsprechend, die Arme um ihn schlingen, um ihn und seinen geliebten grünen österreichischen Regenmantel, den er seine Wetterhaut nennt? Jetzt ist er allerdings trotzdem naß bis auf die Knochen, denn nachdem er die größte Strecke von London her mit dem Wagen geschafft hatte, wurde das verfluchte Ding plötzlich widerspenstig und fuhr in einen Graben, so daß Larry per Anhalter fahren mußte, und zwar mit einer Horde betrunkener alter Jungfern. Seine Designerstoppeln sind heute nicht einen, sondern sechs Tage alt, und er strahlt eine Überlegenheit aus, die nicht nur vom Trinken kommt; es ist der Widerschein, der Abglanz ferner Welten. Recht gehabt, dachte ich: Er hat eine
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