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Unser Spiel

Unser Spiel

Titel: Unser Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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seiner heroischen Reisen hinter sich, und jetzt wird er mir davon vorprahlen.
    »Am Rücken? « sagt er. »Emm? Unsinn. Heute kann man’s doch nicht am Rücken haben, Emm doch nicht!«
    Er hat recht.
    Schon bei Larrys Ankunft ist Emma eine Wunderheilung widerfahren. Um Mitternacht fühlt sie sich wie neugeboren, als ob sie noch nie in ihrem Leben Rückenschmerzen gehabt hätte. Während ich Larry ein Bad einlaufen lasse, in meinem Ankleidezimmer frische Socken, Hosen, Hemd und Pullover für ihn zusammensuche und auch noch ein Paar Pantoffeln hole, die er statt seiner scheußlichen Ziegenlederstiefel anziehen soll, höre ich sie in lustvoller Unschlüssigkeit in ihrem Schlafzimmer hin und her hasten. Designerjeans oder den langen Kaminrock, den Tim mir zum Geburtstag gekauft hat? Ihre Schranktür quietscht, sie nimmt den Rock. Die hochgeschlossene weiße Bluse oder die tief ausgeschnittene schwarze? Lieber die weiße, Tim mag es nicht, wenn ich zu verführerisch aussehe. Und zu der weißen Bluse kann ich die Intaglio-Kette tragen, die Tim mir unbedingt zu Weihnachten schenken wollte.
    Wir tanzen.
    Larry weiß genau, wie ungern ich tanze; wohingegen er der geborene Tänzer ist: Er tanzt Foxtrott mit der Würde eines britischen Kolonialherrn, und gleich darauf gebärdet er sich wie ein verrückter Kosake, oder was auch immer das sein soll: Die Hände auf den Hüften, stolziert er gebieterisch um sie herum und stampft mit meinen Pantoffeln auf das glänzende Parkett. Wir singen, obgleich ich kein Sänger bin und es mir längst angewöhnt habe, zu den Liedern in der Kirche nur noch die Lippen zu bewegen. Wir stellen uns im Dreieck auf und lauschen den zwölf Schlägen der Uhr. Dann nehmen wir Emma in die Mitte, jeder einen weichen weißen Arm, und schmettern »Auld Lang Syne«, wobei Larry den Diskant der Chorknaben aus Winchester parodiert und die Intaglios an Emmas Hals sich glitzernd auf und ab bewegen. Und obwohl ihre Blicke und ihr Lächeln mir zugewandt sind, brauche ich keine Nachhilfe in Sachen Liebe, um zu erkennen, daß sämtliche Konturen und Wölbungen ihres Körpers, von der Haltung ihres dunklen Kopfs bis zum züchtigen Faltenfall ihres Rocks, nur auf ihn gerichtet sind. Und als um halb vier zum zweiten Mal in dieser Nacht für uns Schlafenszeit ist und Larry, der sich in den Ohrensessel geworfen hat, uns bereits wieder zu Tode gelangweilt beobachtet und ich hinter ihr stehe und ihr die Schultern massiere, da weiß ich, daß sie nicht meine Hände auf ihrem Körper fühlt, sondern seine.
    »Also, du warst mal wieder auf Reisen«, sage ich am nächsten Morgen zu ihm; er ist bereits in der Küche und mit der Zubereitung von Tee und Baked beans auf Toast beschäftigt. Er hat nicht geschlafen. Während der ganzen frühen Morgenstunden habe ich ihn gehört, er ist in meinem Arbeitszimmer herumgeschlichen, hat in meinen Büchern gekramt und Schubladen aufgezogen, hat sich zwischendurch hingelegt und ist wieder aufgestanden. Während der ganzen Nacht habe ich den üblen Gestank seiner abscheulichen russischen Zigaretten ertragen müssen: Prima , wenn er sich wie ein proletarischer Intellektueller fühlen will; Belomorkanal , wenn er zur Entspannung ein wenig Lungenkrebs nötig hat, wie er gern zu sagen pflegt.
    »Also, ja, war ich«, gibt er schließlich zu. Denn bis jetzt ist er, was seine Abwesenheit betrifft, ungewöhnlich zurückhaltend gewesen und hat damit meine Hoffnung wiederbelebt, daß er endlich eine eigene Frau gefunden habe.
    »Mittlerer Osten?« rate ich.
    »Nicht direkt.«
    »Asien?«
    »Nicht direkt. Genaugenommen Europa. Bollwerk der europäischen Zivilisation.«
    Ich weiß nicht, ob er mich zum Schweigen bringen oder provozieren will, hartnäckiger nachzufragen; aber ich tue ihm weder so noch so den Gefallen. Ich bin nicht mehr sein Aufpasser. Für deaktivierte Joes – fragt sich nur, wann Larry jemals aktiviert wurde? – ist die Abteilung Soziales zuständig, falls nichts anderes schriftlich vereinbart ist.
    »Jedenfalls eine Gegend, wo es schön heidnisch zugeht«, bemerke ich, um das Thema abzuschließen.
    »Ja, schön heidnisch, das kann man wohl sagen. Wenn du mal richtig Weihnachten erleben willst, besuch mal im Dezember das geschmackvolle Grosny. Stockfinster, Ölgestank, betrunkene Hunde, Teenager mit Goldschmuck und Kalaschnikows.«
    Ich starre ihn an. »Grosny in Rußland?«
    »Eigentlich Tschetschenien. Nordkaukasus. Hat sich als unabhängig erklärt. Einseitig. Moskau ist leicht

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