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Unser Spiel

Unser Spiel

Titel: Unser Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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erkenne ich: anziehender, als eine schöne junge Frau es sich normalerweise erlauben würde. Der alte Taktiker in mir überschlägt hastig seine Möglichkeiten. Anteilnahme bekunden? Versteht sich von selbst, denn wir sind Leidensgenossen. Den Erfahrenen spielen? Sie fragen, ob sie das erstemal hier ist? Lieber nicht gönnerhaft auftreten. So, wie die Mädchen heutzutage sind, ist sie mit ihren gut zwanzig Jahren womöglich erfahrener als ich mit meinen siebenundvierzig. Ich entscheide mich spontan für drolligen Humor.
    »Sie sehen ja wirklich furchtbar aus«, sage ich.
    Ihr Blick noch immer weit weg. Die Hände in den Fäustlingen halten sich zu gegenseitigem Trost.
    Aber da, wunderbar! Plötzlich lächelt sie!
    Ein leichtsinniges, zweiundzwanzigkarätiges Lächeln strahlt hell durch den Raum und triumphiert über Plastikstühle, weiße Neonröhren und zwei schmerzende Rücken. Und ich sehe, daß sie rauchblaue Augen hat, wie Zinn.
    »Na, vielen Dank«, sagt sie in der modisch farblosen Art der jungen Menschen von heute. »Genau so eine Bemerkung hat mir noch gefehlt.«
    Und wir haben noch kein Dutzend Takte miteinander gesprochen, da weiß ich schon, daß ihr Lächeln das tapferste von ganz London ist. Denn man stelle sich vor: An eben diesem Abend, während sie darauf wartet, von ihren Qualen erlöst zu werden, verpaßt sie das erste professionelle Engagement ihrer musikalischen Laufbahn! Wenn sie es nicht am Rücken hätte, säße sie zu dieser Stunde in einem Konzertsaal in Wimbledon und lauschte einer Aufführung der von ihr arrangierten Volks- und Stammesmusik aus aller Welt!
    »Haben Sie das öfter«, frage ich, »oder ist es nur eine Zerrung oder Verstauchung oder so was? In Ihrem Alter kann es doch wohl kaum das gleiche sein wie bei mir .«
    »Die Polizei ist daran schuld.«
    »Wie, die Polizei? Mein Gott!«
    »Freunde von mir sollten aus einem besetzten Haus vertrieben werden. Einige von uns sind hin und haben vor dem Haus eine Sitzblockade gemacht. Ein großer, fetter Bulle versucht mich hochzuheben und in einen Wagen zu verfrachten, und da ist das mit dem Rücken passiert, einfach so.«
    Mein gewöhnlicher Respekt vor Autoritäten ist wie weggeblasen. »Aber das ist ja furchtbar. Sie sollten Anzeige gegen ihn erstatten.«
    »Na ja, eigentlich sollte er Anzeige gegen mich erstatten. Ich habe ihn gebissen.«
    Und ich schlage mich gleich auf ihre Seite, Augen weit geschlossen. Ich verschlinge jedes betörende Wort. Ich erkläre sie zu einer der raren unbefleckten Seelen dieser Welt. Ich verhalte mich ganz so, wie es von einem Fünf-Sterne-Trottel erwartet wird. Und lasse auch nicht das Versprechen aus, daß ich ihr, sobald sie wiederhergestellt ist, als kleine Entschädigung für ihr Mißgeschick ein Abendessen im besten Restaurant Londons ausgeben werde.
    »Bekommt man dort Nachschlag?« fragt sie.
    »Soviel Sie wollen.«
    Zu meiner Verblüffung ist sie nicht einmal Vegetarierin.
    * **
    Unsere Romanze ist nicht gerade stürmisch – aber wie denn auch? Seit ich sie zum erstenmal gesehen habe, ist mir bewußt, daß sie weder vom Alter her noch von ihrer ganzen Art zu der Klasse gehört, aus der gewöhnlich meine Eroberungen stammen: unterwürfige Kolleginnen oder ältere Sekretärinnen; unternehmenslustige Ehebrecherinnen vom Lande. Emma ist intelligent. Sie ist Neuland. Sie bedeutet Gefahr. Und es ist Jahre her, daß Cranmer, falls überhaupt jemals, die Grenzen seiner Selbstbeschränkung überschritten, sich tapfer an die Regeln gehalten, ungeduldig auf den Abend gewartet und bis zum Morgengrauen wachgelegen hat.
    Hat sie einen ganzen Stall von Leuten wie mir? frage ich mich. Ältere Männer, die sie von ihrer Wohnung abholen, sie zu irgendeinem provisorischen Konzertsaal in den Außenbezirken von London fahren – an einem Abend ist es ein leerstehendes Theater in Finchley, die Woche darauf eine Turnhalle in Ruislip oder irgendein privates Wohnzimmer in Ladbroke Grove – und dann in der hintersten Reihe sitzen und in loyaler Verzückung ihrer seltsamen Musik lauschen, bevor sie sie zum Essen ausführen? Und ihr beim Essen Lobeshymnen singen, wenn sie niedergeschlagen ist, oder Kritik an ihr üben, wenn sie zu übermütig ist, und sie schließlich vor ihrer Tür absetzen, ohne ihr mehr als einen brüderlichen Kuß auf die Wange und dann das Versprechen zu geben, das Ganze nächste Woche zu wiederholen?
    »Ich bin ein richtiges Flittchen , Tim«, gesteht sie mir bei unserem exzellenten Essen im

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