Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unser Spiel

Unser Spiel

Titel: Unser Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
Vom Netzwerk:
Geschwätz, die leeren Köpfe? Für ihre Karriere wird sie weiter in der Nähe von London bleiben müssen. Sie wird ihre Freunde haben, sie braucht nichts aufzugeben, was ihr lieb und teuer ist, sie wird ein freier Mensch sein, nie meine Gefangene im Turm. Und unter Vorbehalten glaube ich mir selbst jedes Wort, jede Tirade. Denn ist Tarnung nicht gerade dazu da, ein Leben abzustreifen und ein anderes anzufangen?
    Lange scheint sie unfähig, etwas zu sagen. Vielleicht habe ich sie heftiger bestürmt, als man es von einem gesetzten Bürokraten auf der Suche nach einer Ruhestandsgefährtin erwarten darf. Und während ich auf ihre Antwort warte, bin ich mir gar nicht mehr sicher, ob ich überhaupt gesprochen habe oder ob ich bloß den befreiten Sirenen meiner in heimlicher Einkerkerung verbrachten Jahre gelauscht habe.
    Sie sieht mich an. Beobachtet mich, um genau zu sein. Sie liest mir die Worte von den Lippen, betrachtet mein Mienenspiel, die Angst und Verehrung, den Ernst und das Verlangen – oder was auch immer sich auf meinem Gesicht abspielt, während ich mich ihr offenbare. Die zinngrauen Augen sind fest und hellwach auf mich gerichtet. Sie gleichen dem Meer vor einem Gewitter. Schließlich heißt sie mich schweigen, dabei rede ich schon gar nicht mehr. Sie tut das, indem sie mir einen Finger auf die Lippen legt und dort liegen läßt.
    »Schon gut, Tim«, sagt sie. »Du bist ein guter Mensch. Besser, als du weißt. Du brauchst mir jetzt nur einen Kuß zu geben.«
    Im Connaught? Sie muß mir die Verblüffung angesehen haben, denn plötzlich lacht sie laut auf, erhebt sich und kommt um den Tisch und drückt mir ohne das leiseste Zeichen von Verlegenheit einen langen feurigen Kuß auf die Lippen; ein ältlicher Weinkellner, dem ich zufällig in die Augen sehe, als sie mich aus der Umarmung freigibt, quittiert das mit beifälligem Nicken.
    »Unter einer Bedingung«, sagt sie streng und setzt sich wieder.
    »Sag schon.«
    »Mein Klavier.«
    »Was ist mit deinem Klavier?«
    »Kann ich es mitbringen? Ohne Klavier kann ich keine Arrangements schreiben. Das Geklimper gehört einfach dazu.«
    »Ich weiß, daß du das Geklimper brauchst. Von mir aus bring sechs Klaviere mit. Ein ganzes Geschwader. Sämtliche Klaviere der Welt.«
    In dieser Nacht schlafen wir zum erstenmal miteinander. Am nächsten Morgen eile ich beschwingten Schritts nach Honeybrook und lasse die Handwerker kommen. Blicke ich ein einziges Mal zurück, halte ich ein und überlege, ob ich das Richtige getan habe? Ob ich einen zu hohen Preis bezahle für etwas, das ich auch leichter hätte haben können? Nein. Mein ganzes Leben lang habe ich mich versteckt und hin und her gewunden und um Ecken gespäht. Von jetzt an, mit Emma als meiner heißgeliebten Schutzbefohlenen, sollen mein Denken und Handeln eins sein – und zum Beweis führe ich noch am selben Tag ein dringendes Telefonat mit Mr. Appleby in Wells, der mit exquisitem altem Schmuck und Möbeln handelt. Und gebe ihm den Auftrag, sich unverzüglich, Kosten spielen keine Rolle, auf die Suche nach dem entzückendsten und schönsten Stutzflügel zu machen, der je von Menschenhand gebaut wurde: etwas richtig Altes und Gediegenes, Mr. Appleby, und aus bestem Holz, ich denke an Satinholz; und wo wir schon mal dabei sind, haben Sie noch dieses wundervolle dreireihige Perlenkollier mit der Kameenspange, das ich vor nicht ganz vier Wochen in Ihrem Schaufenster gesehen habe?
    ***
    Mr. Dass war zu schüchtern, darum zu bitten, daß man sich auszog. War man ein Mann, stand man in Strümpfen vor ihm, mit nacktem Oberkörper und baumelnden Hosenträgern, und hielt sich die Hose fest. Selbst wenn man auf dem Bauch lag und er einem das untere Ende des Rückgrats bearbeitete, entblößte er nur gerade so viel Fleisch, wie für seine Zwecke erforderlich war.
    Und Mr. Dass redete. In seinem schmeichelnden orientalischen Singsang. Der Vertrauen einflößen und Vertraulichkeit vorbeugen sollte. Und gelegentlich, damit man nicht einnickte, stellte er Fragen, dabei hätte ich ihm heute in meiner neu erwachten Ruhelosigkeit am liebsten selbst welche gestellt: Haben Sie die beiden gesehen? – Ist sie hiergewesen? – Hat er sie hergebracht? Wann?
    »Haben Sie Ihre Gymnastik gemacht, Timothy?«
    »Gewissenhaft«, log ich mit schläfriger Stimme.
    »Und wie geht es der Dame in Somerset?«
    Hinter der Maske meiner Schläfrigkeit war ich hellwach. Er sprach, wie ich sofort erkannte, von einer Arztkollegin in Frame, die er mir

Weitere Kostenlose Bücher