Unser Spiel
Wilton’s. »Wenn ich in einen Raum voller Leute komme, starren sie mich an, und ich muß sofort mit allen Anwesenden flirten. Und wenig später habe ich irgendwen am Hals, der im Schaufenster ganz gut aussah, sich aber zu Hause als das reinste Brechmittel herausstellt!«
Provoziert sie mich vorsätzlich? Erzählt sie Märchen? Drängt sie mich, mein Glück bei ihr zu versuchen? Ich bin doch keine schlechtere Wahl als irgendein windelweicher dreißigjähriger Banker aus Hampstead mit einem Porsche? Aber wie soll ich wissen, daß es kein Bluff ist – und wenn ich mich erkläre und sie mich abweist, was wird dann aus unserer Beziehung? Hat sie einen Dachschaden? Ihr zielloser Weg durchs Leben hat ja wirklich den Beigeschmack von Wahnsinn – auch wenn ich neidisch darauf bin: Ihr wilder Trip von London nach Karthum, bloß in der vagen Hoffnung, dort vielleicht zufällig einen erstaunlich duften Italiener zu treffen, mit dem sie einmal dreißig Sekunden lang in Camden Lock gesprochen hat; die sechs Monate, die sie in einem Aschram in Zentralindien untergetaucht ist; ihr Fußmarsch über die Landenge von Darien, von Panama nach Kolumbien auf der Suche nach irgendeiner ganz bestimmten Musik; und schließlich, daß sie einen Gesetzeshüter gebissen hat – es sei denn, natürlich, der gebissene Polizist ist auch nur eine ihrer Märchengestalten.
Was ihr gedankenloses Eintreten für dieses und jenes betrifft, so ist das eine Karikatur der sonntäglichen Leitartikler, die sich anmaßen, das Gewissen der Stammtischredner zu sein. Aber warum sollte ich sie verspotten, wenn sie sich weigert, türkische Feigen zu essen, denn sieh doch bloß, was die mit den Kurden machen? Oder japanischen Fisch, denn sieh doch bloß, was die mit den Walen machen? Was war daran denn lächerlich – oder unenglisch –, sein Leben nach Grundsätzen auszurichten, selbst wenn diese Grundsätze nach meinem abgestumpften Urteil nichts bewirken konnten?
Unterdessen pirsche ich mich an sie heran, male sie mir aus, versuche sie zu deuten; und warte: daß sie mich ermutigt, daß endlich ein Funke überspringt, aber das geschieht allenfalls in den Augenblicken, wenn sie mir an einem unserer geschwisterlichen Abende die Hand an die Wange legt oder mit den Knöcheln verständnisvoll den schmerzenden Rücken massiert. Nur ein einziges Mal fragt sie mich, wie ich meinen Lebensunterhalt verdiene. Und als ich sage, beim Finanzministerium, fragt sie, das Kinn mit dem Grübchen herausfordernd vorgeschoben:
»Auf wessen Seite stehst du da?«
»Auf gar keiner. Ich bin Beamter.«
Aber das reicht ihr keineswegs.
»Man kann nicht auf keiner Seite stehen, Tim. Das wäre ja so, als ob man gar nicht existierte. Wir müssen an etwas glauben. Gerade das definiert uns doch.«
Einmal fragt sie mich nach Diana: was da schiefgelaufen sei?
»Nichts. Wir haben schon vor der Hochzeit nicht zusammengepaßt, und daran hat sich auch später nichts geändert.«
»Und warum hast du dann geheiratet?«
Ich unterdrücke meine Gereiztheit. Alte Fehler in der Liebe, will ich ihr sagen, lassen sich ebensowenig erklären wie berichtigen. Aber sie ist jung und glaubt vermutlich noch, daß es für alles eine Erklärung gibt, wenn man nur sorgfältig genug sucht.
»Einfach aus Dummheit«, antworte ich mit möglichst entwaffnender Offenheit. »Also wirklich, Emma. Erzähl mir nicht, du hättest nicht auch schon diverse Fehler gemacht. Du erzählst mir doch dauernd davon.«
Worauf sie mit einem ziemlich hochmütigen Lächeln reagiert und ich sie in verhohlener Wut plötzlich mit Larry vergleiche. Schönen Menschen wie euch sind die schweren Prüfungen des Lebens erlassen, wie? will ich ihr sagen. Ihr braucht euch nicht anzustrengen, wie? Ihr sitzt einfach da und urteilt über das Leben, anstatt euch von ihm beurteilen zu lassen.
Aber meine Verbitterung, oder was auch immer das sein mag, ist bei ihr angekommen. Sie nimmt meine Hand in beide Hände, drückt sie nachdenklich an die Lippen und mustert mich. Ist sie klug? Ist sie ganz einfach dumm? Emma paßt nicht in solche Kategorien. Wie Larrys Schönheit ist auch die ihre eine Tugend für sich.
Eine Woche später sind wir wieder gute Freunde, und so geht es weiter bis zu dem Tag, an dem Merriman mich in sein Büro bestellt und mir sagt, daß man Kalte Krieger nicht recyceln kann und daß ich mit sofortiger Wirkung meinen Ruhestand auf Honeybrook antreten darf. Doch anstelle der üblichen Verzweiflung, die mich ob dieses
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