Unser Spiel
Urteilsspruchs hätte befallen sollen, empfinde ich nur unbekümmerten Tatendrang. Merriman, da hast du ausnahmsweise einmal recht! Cranmer ist frei! Cranmer hat seine Schuldigkeit getan! Von heute an und für den Rest seines Lebens wird Cranmer sich entgegen allen früheren Grundsätzen an Larrys Ratschlag halten. Er wird erst handeln, dann denken. Er wird nicht geben, sondern nehmen.
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Aber Cranmer wird mehr tun als nur nehmen. Er wird sich bescheiden, auf dem Land leben, frei sein. Jetzt, da der Kalte Krieg gewonnen und beendet ist, wird er sich aus dem Wirrwarr der großen Welt zurückziehen. Er hat mitgeholfen, den Sieg zu erringen, und überläßt das Schlachtfeld in aller Würde der neuen Generation, von der Merriman mit solcher Wärme spricht. Er wird buchstäblich den Frieden ernten, zu dem er selbst beigetragen hat: in den Feldern, im Boden, in ländlicher Einfachheit. In anständigen, geordneten, offenen menschlichen Beziehungen wird er endlich die Freiheiten genießen, die er in diesen mehr als zwanzig Jahren verteidigt hat. Und zwar keineswegs eigennützig. Im Gegenteil, er wird sich an zahlreichen gesellschaftlich nützlichen Werken beteiligen: aber im Mikrokosmos, in der kleinen Gemeinschaft, und nicht mehr für das sogenannte nationale Interesse, das heutzutage selbst denen ein Rätsel ist, die ihrer Stellung nach am besten dafür sorgen könnten.
Und diese herrliche Aussicht, mir von so unwahrscheinlicher Seite gewährt, verleitet mich zu einem Schritt von grandioser Verantwortungslosigkeit. Ich wähle dazu den Grillroom des Connaught, wo ich große Ereignisse am liebsten feiere. Mit etwas mehr Vorsicht hätte ich mich für ein bescheideneres Lokal entschieden, so aber erkenne ich zu spät, daß ich ihre Garderobe überschätzt habe. Macht nichts. Lange genug vorsichtig gewesen. Wenn sie jemals zu mir kommt, werde ich sie von Kopf bis Fuß in Gold einkleiden!
Sie hört mir bedächtig zu, auch wenn ich selbst gar nicht bedächtig spreche – nur wenn es um meine geheime Vergangenheit geht, sind meine Lippen natürlich versiegelt.
Ich sage, daß ich sie liebe und Tag und Nacht Angst um sie habe. Um ihr Talent, ihren Verstand, ihren Mut, besonders aber um ihre Labilität und das, was ich – da sie selbst darauf hingewiesen hat – als ihre gefährliche Verfügbarkeit bezeichnen würde.
Die Wahrheit spricht aus mir wie nie zuvor. Vielleicht mehr als die Wahrheit, vielleicht ein Traum von Wahrheit, hingerissen vor Freude, nach einem Leben voller Täuschungsmanöver keine taktischen Erwägungen mehr anstellen zu müssen. Endlich darf ich Gefühle haben. Und das habe ich nur ihr zu verdanken. Ich möchte alles für sie sein, was ein Mann sein kann, sage ich ihr: Ich möchte sie behüten und beschützen, nicht zuletzt vor sich selbst; ich möchte ihr künstlerisches Talent fördern, ihr Freund sein, ihr Gefährte, ihr Geliebter und ihr Schüler; und ich möchte ihr ein Dach bieten, unter dem die widersprüchlichen Teile ihrer selbst harmonisch zueinander finden können. Und zu diesem Zweck schlage ich vor, sie sollte sich hier und jetzt meinem ländlichen Leben anschließen: in der am dünnsten besiedelten Gegend von Somerset, auf Honeybrook, um in den Hügeln zu wandern, Wein zu züchten, sich der Musik und der Liebe hinzugeben, ein Leben à la Rousseau zu führen, nur daß unsere Welt kleiner wäre und fröhlicher; endlich die Bücher zu lesen, die wir schon immer lesen wollten.
Verblüfft von meiner Verwegenheit, ganz zu schweigen von meiner Eloquenz – die freilich noch immer die heikle Frage nach den letzten fünfundzwanzig Jahren meines Lebens ausschließt –, höre ich mir selber zu, wie ich mein komplettes Arsenal in einer einzigen gewaltigen Salve abfeuere. Mein Liebesleben, sage ich, war bis heute abend eine Komödie von Mesalliancen, eine klare Konsequenz der Tatsache, daß ich meinen Gefühlen niemals freien Lauf gelassen habe.
Zitiere ich wieder einmal Larry? Zu meiner Bestürzung fällt mir oft erst zu spät auf, daß manche meiner besten Sprüche von ihm stammen.
Aber heute abend, sage ich, sind meine Gefühle auf dem richtigen Weg, und beschämt blicke ich auf die allzu vielen falschen Abzweigungen zurück, die ich eingeschlagen habe. Und vielleicht – falls ich sie nicht mißverstehe – ist das sogar etwas, das uns trotz unseres Altersunterschiedes verbinden könnte: denn gesteht sie mir nicht unablässig, daß auch sie das alles satt hat: die leeren Liebesaffären, das leere
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