Unser Wohlstand und seine Feinde (German Edition)
Vergangenheit auch deshalb so weit aufgerissen, damit man Ursache und Wirkung in der langen Kette von Immobilien-, Banken- und Finanzkrise klar voneinander scheiden kann. Denn am Beginn aller Verwerfungen stand eben nicht der Markt, sondern das Wort des Staates. Er entfesselte die Finanzmärkte, auf dass sie ihm bei Wohlstandserzeugung und Wählerbeglückung behilflich seien. So kamen Staat und Banksystem ins Geschäft. So geschah, was nie hätte geschehen dürfen. Die Unvernunft drang tief in unser Wirtschaftssystem ein, um sich dort zu potenzieren.
Die Wachstumsraten, die unsere Volkswirtschaften ausweisen, sind seit Langem schon gewaltsam erzeugt. Nicht freie Märkte, sondern staatliche Stellen haben der Volkswirtschaft eine sich ständig selbst vergrößernde Kreditinfusion verpasst. Erst im Zusammenspiel echter Produktivitätsfortschritte, tatsächlicher technologischer Durchbrüche mit der Vorwegnahme künftigen Wachstums in Gestalt von Schulden sind die Wohlstandszuwächse entstanden, derer sich unsere Politiker rühmen. Verringern wir das jährliche Bruttosozialprodukt der Jahre 2000 bis 2012 um die jeweilige staatliche Kreditfinanzierung, sinkt die durchschnittliche Wachstumsrate dieses Zeitraumes von 1,3 Prozent auf 0,1 Prozent. Unsere Marktwirtschaft ist kreditgetrieben. Die Gegenwart wird beleuchtet um den Preis künftiger Verdunkelung.
Die Feinde des Wohlstandes, wir haben es gesehen, besitzen viele Gesichter. An manchen Tagen sehen sie aus wie ein Rudel halbstarker Investmentbanker, dann wieder wie ein Trupp ehrgeiziger Regierungspolitiker, der uns die eigene Zukunft verkaufen will. Und manchmal sehen die Feinde unseres Wohlstandes auch nur aus wie wir selbst. Die als krisenhaft empfundenen Umstände haben wir zwar nicht herbeigeführt und nicht gewollt. Die Augenblicksgier aber, und die Verführbarkeit mittels einer kleinen Zusatzdosis Wohlstand, beobachten wir auch an uns. Wer möchte, kann dieses Buch getrost als Spiegel benutzen.
Wenn wir unsere eigene Mündigkeit ernst nehmen, kommen wir nicht umhin festzustellen: Nichts geschieht, ohne dass wir es geschehen lassen. Auch der fortgesetzte politische Betrug entlässt uns nicht aus der Verantwortung. Die bittere Erkenntnis der Hannah Arendt, auch wenn von ihr in anderem Kontext gewonnen, hat nichts an Aktualität verloren: » Im Bereich der Politik, wo Geheimhaltung und bewusste Täuschung stets eine große Rolle gespielt haben, ist Selbstbetrug die Gefahr par excellence. «
Das » Denken ohne Geländer « , das die Grande Dame der politischen Philosophie für sich in Anspruch nahm, wäre auch uns zu empfehlen. Vom Parteienstaat zumindest, der stets aufs Neue mit rhythmischem Parteitagsklatschen und der götzenhaften Verehrung eines jedweden Parteivorsitzenden seine Einfalt demonstriert, ist weder Linderung noch Lösung zu erwarten. Die Volksparteien liefern sich keinen Wettbewerb der Ideen und der Analysen. Sie wetteifern lediglich darum, ob die bastardisierten Verhältnisse unter sozialdemokratischer oder christdemokratischer Flagge fortgesetzt werden sollen. Die Kreditsucht hat ihnen den Geist vernebelt.
So sind wir auf uns selbst zurückgeworfen. Der mündige Bürger muss all seine Mündigkeit zusammennehmen. Wenn er selbst sich kein Licht anzündet, wird es niemand anders für ihn tun.
Vielleicht muss man neben der Wirklichkeit auch unsere Wahrnehmung von ihr verändern. Beim weiteren Fortgang unserer Wohlstandsgeschichte hängt vieles nicht von den Tatsachen ab, sondern von unserem Blick auf die Tatsachen. Wie wollen wir leben? Empfinden wir ein Absinken der Wachstumsraten als ehrverletzend oder als annehmbar? Welchen Stellenwert soll das Risiko in unserem Alltag spielen dürfen? Erlauben wir uns und anderen ein Leben der Auf- und Abschwünge, oder streben wir das Gemächliche und Erwartbare an? Konkurrieren wir noch mit China oder kopieren wir schon? Wollen wir uns vor der Zukunft gruseln, es uns im Grandhotel Abgrund bequem machen, oder wollen wir einander helfen, die Dinge nicht nur anders, sondern besser zu machen?
Was heute als Niederlage gilt, moderate Wachstumsraten zum Beispiel, lässt sich auch als willkommene Entschleunigung eines übertourig drehenden Wirtschaftssystems begreifen. Eine reife Industriegesellschaft wie die deutsche und die amerikanische müsste sich nicht an jedem Werktag mit den Wachstumsraten der spät industrialisierten Länder wie China und Indien messen. Es gibt auch für Volkswirtschaften ein
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