Unsere feuerrote Hexe
Jessica zusammen die Kinder ins Bett. Eine Sache, die leider viel zu selten vorkommt, weil ich oft lange in der Kanzlei bin und Jess’ Dreharbeiten auch meist bis spätabends andauern.
„Du denkst morgen daran, Heather abzuholen?“, erinnert mich meine Frau, als wir im Bett liegen.
„Ja, 14.15 Uhr, Hauptbahnhof.“
„Sie kommt mit dem ICE aus Brüssel. Ich hab dir alles aufgeschrieben, der Zettel liegt auf der Anrichte im Wohnzimmer“, Jessica schmiegt sich in meine Arme und streichelt mir über den Bauch, offenbar soll mich das besänftigen.
„Ich habe Petra angewiesen, dass Zimmer von Linda fertigzumachen. Ich weiß ja nicht, ob Heather hier bei uns auf Dauer wohnen möchte“, sie beginnt, zärtlich meinen Oberkörper zu küssen und meine miese Laune verschwindet tatsächlich zunehmend.
„Okay“, stöhne ich leise auf, als sie mir vorsichtig die Shorts hinunterzieht.
Der Montagvormittag wird mehr als hektisch. Morgens bringe ich die Kinder ganz früh in den Kindergarten und hetze in die Kanzlei.
Gott sei Dank erklären sich meine Schwiegereltern bereit, Nele und Ben mittags abzuholen und zu sich zu nehmen, Jessica ist ja den ganzen Tag bei den Dreharbeiten.
Innerlich verfluche ich mich dafür, dass ich mich darauf eingelassen habe, das Kindermädchen abzuholen. Mein Terminplan ist sehr eng und nur mit Mühe schafft es Werner, meine Besprechung mit einem Mandanten zu übernehmen.
Immerhin schaffe ich es noch pünktlich zum Bahnhof, der ICE ist noch nicht da und ich hoffe mal nicht, dass er sich großartig verspätet, das würde meine Nachmittagsplanung völlig über den Haufen werfen.
Eine freundliche Frauenstimme tönt aus dem Lautsprecher und verkündet die Einfahrt des ICEs aus Brüssel.
Ich atme erleichtert auf, der Zug ist pünktlich. Dann kann ich Heather direkt zu unserer Villa in Rodenkirchen bringen und sie dort abliefern. Petra wird sich ein bisschen um sie kümmern und ihr alles zeigen, die Kinder wird sie dann am Abend kennenlernen.
Gespannt betrachte ich, wie der Zug in den Bahnhof einfährt. Ich bin jetzt doch neugierig auf sie. Innerlich stelle ich mich aber schon auf das Schlimmste ein. Eine Rothaarige und noch dazu eine, die aussieht wie ein Kind. Das kann ja was werden.
Die ersten Passagiere steigen aus und ich schaue mich um. Noch kann ich niemanden erkennen, der nur annähernd so wie die Frau auf dem Foto ausschaut. Immer mehr Leute bevölkern jetzt den Bahnsteig und so langsam wird mir mulmig. War sie gar nicht im Zug? Das wäre ja ein Desaster, wenn sie eine andere Verbindung genommen hätte, dann könnte ich meine Terminplanung für den Rest des Tages knicken. Oder ich müsste Petra bitten zum Bahnhof zu kommen und auf Heather zu warten.
Ich werde zunehmend nervöser. Wo steckt diese verdammte Irin bloß?
Ich laufe jetzt den Bahnsteig auf und ab und schaue mich immer wieder um. Sie scheint tatsächlich nicht dabei gewesen zu sein, oder doch?
Plötzlich entdecke ich, wie eine Tasche aus der Zugtür hinausgeworfen wird und ein bunt gekleidetes Geschöpf leichtfüßig hinterher springt.
‚Nee – oder?’ , denke ich erschrocken. ‚Das ist sie nicht. Oh mein Gott, lass sie das nicht sein!’
Mit mulmigem Gefühl gehe ich näher zu der jungen Dame, wobei der Ausdruck ‚Dame’ hier völlig deplatziert ist.
Sie hat mich noch nicht entdeckt, wie denn auch, sie wird mich ja kaum kennen. Sie schaut sich suchend um und ich nutze die Zeit, um sie schnell zu mustern.
Um den Kopf hat sie so eine Art Piratentuch gewickelt. Jetzt, wo sie sich umdreht und mir ihre Rückpartie zuwendet, sehe ich, dass sie lange rote lockige Haare hat.
‚Rote Haare!!! Verdammt, sie ist es tatsächlich’ , schlucke ich panisch.
Ihre Haarpracht reicht ihr fast bis zum Po. Überhaupt lohnt es sich wirklich, sich ihren Kleidungsstil zu betrachten, wenn man da überhaupt von ‚Stil’ reden kann.
Sie trägt eine Art Poncho in dunkelgrün, der aber so grobe Maschen hat, darunter blitzt ein brauner Rollkragenpulli durch. Dann kommt der Hammer. Sie hat einen Schottenrock an – über einer schwarzen Leggins. Und ihre Füße stecken in Chucks, die meine Tochter auch besitzt, allerdings in rosa und nicht in schwarz, wie Madame hier.
Über einer Schulter trägt sie eine Gitarre, über der anderen hängt noch ein Rucksack.
‚Toll, eine Musikerin!’
Es hilft wohl nichts, ich muss sie ansprechen und mich zu erkennen geben, zumal sie jetzt auch in meine Richtung schaut und die Stirn runzelt.
Weitere Kostenlose Bücher