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Unsere Oma

Unsere Oma

Titel: Unsere Oma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilse Kleberger
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sahen ihr bewundernd zu. Die Pieselang-Kinder waren sehr stolz auf ihre Oma. Sie machte ruhige kleine Schritte, wiegte und drehte sich. Die Hände hatte sie in den Muff gesteckt und den Regenschirm über den Arm gehängt. Ihre grüne Pudelmütze und der Schal leuchteten, und ebenso leuchtete ihre Nase, die immer röter wurde. Ab und zu machte sie einen kleinen Hüpfer, so daß ihr langer schwarzer Rock flatterte. Dann drehte sie eine Acht, und sie fiel dabei nicht auf die Nase. Alle schauten Oma zu. Niemand interessierte sich mehr für Jürgen und seine neuen Schlittschuhstiefel.

    Um die Aufmerksamkeit des Publikums wieder auf sich zu lenken, zog er Jan an seinem langen Schal und fragte herausfordernd: »Kommst du mit in die Krebsbucht?«
    Jan blickte zweifelnd zu der kleinen Bucht hinüber, in der man im Sommer gut Krebse fangen konnte. Im Winter fror die Bucht aus einem unerfindlichen Grund selten ganz zu. Immer wieder wurden die Kinder von den Eltern und Lehrern davor gewarnt, dort das Eis zu betreten.
    Oma hielt mitten in einem kunstvollen Bogen an. »Das würde ich euch nicht raten!«
    Jürgen beachtete Oma gar nicht. »Na, kommst du mit?« fragte er Jan noch einmal.
    »Nein, er kommt nicht mit!« sagte Oma bestimmt. »Und du solltest auch hierbleiben.«
    Jürgen wandte Jan den Rücken. »Wenn du solch ein Muttersöhnchen bist, lauf’ ich eben mit jemand anderem. Frieder, kommst du mit?«
    Frieder schob seinen Kaugummi in die andere Backe und tippte sich mit dem Finger an die Stirn.
    »Gut, dann geh’ ich allein!« sagte Jürgen wütend und sauste davon, ehe Oma ihn zurückhalten konnte. In der Bucht fuhr er ein paar Bögen. »Feiglinge, Feiglinge!« rief er herüber.
    Jetzt hielt es Jan nicht länger; er setzte zum Lauf in die Bucht an. Aber Oma erwischte ihn am Ende seines gelben Schals. »Hiergeblieben!«
    »Aber du siehst doch, daß das Eis hält. Warum willst du mich nicht...«
    Ein dumpfes Krachen unterbrach ihn. Jürgen war plötzlich in der Tiefe verschwunden. Wie der Wind sauste Oma zum Ufer, schnallte ihre Schlittschuhe ab und lief am See entlang zur Krebsbucht.
    »Kommt mir nach!« rief sie.
    Die Kinder folgten ihr, so schnell sie konnten. Gellende Hilfeschreie empfingen sie in der Bucht. Jürgen klammerte sich mit beiden Händen an den Rand des Eisloches. Er schrie und zappelte.
    »Halt den Schnabel!« rief Oma. »Wir kommen ja schon. Aber wir können dir nur helfen, wenn du vernünftig bist.«
    »Hilfe, Hilfe!« schrie der Junge.
    »Wenn du nicht sofort aufhörst zu schreien, kehren wir um und lassen dich allein!«
    Jürgen schloß entsetzt den Mund.
    »Leg deine Arme aufs Eis und versuch, den Oberkörper etwas hochzuziehen, aber ganz, ganz langsam.«
    Alles atmete auf, als das gelang.
    »Und nun mach keine Bewegung mehr. Lieg ganz still!«
    »Aber meine Beine!« jammerte Jürgen.
    »Lieg still, sage ich dir!« rief Oma.
    Unterdessen waren fast alle Kinder in der Bucht angekommen, sogar der kleine Peter mit seinem Schlitten.
    »Paßt auf«, sagte Oma. »Ich lege mich jetzt aufs Eis. Ihr bleibt am Ufer und haltet meine Beine fest. Wenn ich einbreche, zieht ihr.«
    Sie legte sich auf den Bauch und schob sich langsam auf dem Eis voran, an ihren Beinen eine Traube von Kindern. Mit weit aufgerissenen Augen blickte Jürgen ihr entgegen. Sie streckte die Arme aus, konnte ihn aber nicht erreichen.
    »Werft mir meinen Regenschirm zu!« rief sie. Brigitte ließ den Schirm bis zu Oma schlittern. Oma ergriff die Spitze und schob die Krücke zu Jürgen hin. Hastig packte der zu.
    »Langsam«, rief Oma, »ganz langsam!«
    Dann befahl sie den Kindern, die ihre Beine hielten: »Und nun zieht!«

    Die Kinder zogen aus Leibeskräften. Oma rutschte rückwärts auf das Ufer zu, in ihren Händen den Schirm, an dessen Krücke Jürgen hing. Es gelang, es gelang wirklich! Endlich stand der tropfnasse Junge am Ufer.
    »Schnell nach Haus!« sagte Oma kurz.
    Aber Jürgen war so erstarrt, daß er nicht gehen konnte. Die Tränen liefen ihm über die Backen und wurden zu Eis. Oma setzte ihn auf den Schlitten, und der ganze Zug bewegte sich zu Pieselangs Häuschen, das dem See am nächsten lag. Mutter sah ihn kommen und erschrak. Was war geschehen? Als sie in dem Kinderhaufen die rote, die blaue, die gelbe und die grüne Zipfelmütze leuchten sah, atmete sie auf. Zu Hause angekommen, drängte alles hinter Oma und Jürgen her durch Pieselangs Haustür. Vor ihrem Zimmer blieb Oma stehen.
    »Laß ein heißes Bad ein«, bat sie

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