Unsere Oma
wilden Twist versuchten, zog Joachim die Augenbrauen hoch, dann setzten sie sich beschämt und still auf die Fensterbank. Heiner legte seine Lieblingsplatte auf, nach der er in der Tanzstunde oft mit Gisela getanzt hatte.
Das Mädchen gähnte. »Ach du liebe Zeit, schon wieder die alte Platte!«
In diesem Augenblick ging die Tür auf, und Oma betrat den Raum.
»Auch das noch!« dachte Heiner. »Jetzt ist alles verloren. Die Party ist nicht mehr zu retten.«
Oma trug ihr bestes schwarzes Kleid, das Samtband um den Hals und hatte eine große Handtasche über dem Arm. Auf ihrer rechten Schulter saß Paulchen, der Wellensittich.
»Guten Abend, liebe Kinder!« sagte sie.
Heiner wäre am liebsten in den Erdboden gesunken, weil sie »Kinder« gesagt hatte.
»Laßt euch nicht stören, ich will nur ein wenig zuschauen«, fuhr sie liebenswürdig fort und ging auf den Sessel zu, in dem sich der lange Joachim lümmelte. »Nett, daß Sie einer alten Dame den Sessel überlassen!«
Joachim sprang mit hochrotem Kopf in die Höhe. Heiner legte eine neue Platte auf, aber niemand wollte tanzen. Hastig ging er von einem zum andern und goß die Coca-Cola-Gläser voll. Oma zog ihr Strickzeug aus der Tasche und fing an zu stricken. Über ihre Brille hinweg blickte sie freundlich auf die jungen Leute. Paulchen begann, sich auf ihrer Schulter zu regen. Zuerst hatten ihn die vielen Menschen verschüchtert, aber nun schüttelte er seine Federn und rief mit lauter Stimme »hoppla«. Sibylle und Axel lachten. Von dieser Anerkennung ermutigt, flatterte Paulchen in die Höhe, kreiste einmal um die Stube und suchte sich den höchsten Punkt als Landeplatz aus. Der höchste Punkt war die hohe Frisur der blonden Gisela. Paulchen landete elegant, aber er erschrak, weil der blonde Turm nicht fest war und er mit dem einen Bein in der Tiefe versank, während das andere an einem Kamm Halt gefunden hatte. Aufgeregt flatterte und piepste er.
Gisela schrie empört und angstvoll: »Heiner, nimm das Vieh weg!«
Noch ehe Heiner herbeispringen konnte, hatte Axel den Vogel vorsichtig aus dem haarigen Gefängnis gelöst. Er nahm ihn behutsam in die Hand und streichelte ihm beruhigend die Rückenfedern.
»Ist der nett!« rief er.
»Ist der nett!« piepste Paulchen.
Lachend drängten sich alle um Axel und bewunderten den sprechenden Vogel.
»Fröhliche Weihnachten!« rief Paulchen. »Dummköpfe, Dummköpfe!«
Im Triumph wurde er zu Oma zurückgebracht. Gisela blieb unbeachtet im Hintergrund, bis Heiner sie in den Tanz zog, der nun doch zustande kam. Oma und Paulchen guckten interessiert zu.
»Als ich jung war, wollte man sich beim Tanzen möglichst viel bewegen«, sagte Oma, als der Tanz beendet war. »Und warum tanzt ihr?«
Das konnte man ihr nicht beantworten.
»Wir haben auch Tänze, bei denen man sich viel bewegen muß. Sibylle, zeig einen Twist!« Heiner legte eine Platte auf, und Sibylle fing an, im Takte ihre Glieder zu verrenken. Oma sah ihr gespannt zu. Bald wurde sie sehr unruhig. »Ob ich ihr einen Pfefferminztee koche?« fragte sie Heiner leise.
»Warum denn?«
»Dem armen Kind ist doch sicher schlecht, weil es sich so krümmt.«
Heiner schüttelte verzweifelt den Kopf. »Aber Oma, das ist doch der Tanz!« Er war froh, daß niemand ihr Gespräch mit anhörte.
»So, so, das ist der Tanz«, murmelte Oma.
Endlich hockte sich Sibylle erschöpft zu Omas Füßen hin. Oma tätschelte ihr die Wange.
»Sehr hübsch, mein Kind. Soll ich euch jetzt mal zeigen, wie wir früher getanzt haben?«
»Ja, bitte!« riefen die jungen Leute im Chor.
Oma betrachtete kritisch die Kleider der Mädchen. »Aber dazu müßt ihr anders angezogen sein. Eure Kleider sind viel zu eng und zu kurz. Bei einem schönen Tanz muß einem der Rock so richtig um die Beine fliegen. Ich habe in einer Kiste noch Kleider aus meiner Jungmädchenzeit. Wollt ihr die mal anprobieren?«
Wie eine Schar Hühner scheuchte sie die Mädchen vor sich her in ihr Zimmer. Die jungen Männer blieben allein zurück. Als sich die Tür hinter den Damen geschlossen hatte, sagte Joachim spöttisch zu Heiner: »Wo haben Sie die Großmutter her? Aus der Mottenkiste?«
Ehe Heiner etwas antworten konnte, rief der lustige Axel: »Deine Oma ist prima, Heiner, ganz prima!«
Eine Weile mußten sich die Herren gedulden. Endlich steckte Brigitte ihren Kopf zur Tür herein und rief: »Ihr sollt in Omas Zimmer kommen!«
In dem großen, leeren Raum fanden sie nun ihre seltsam verwandelten Damen. Sie
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