Unsere schoenen neuen Kleider
Lärmschutzbeauftragte des Landes nicht dem Umweltministerium unterstellt ist, sondern
dem Verkehrs- und Wirtschaftsministerium. Keine Erklärung kann es mehr für den Tatbestand geben, dass dieser Lärmschutzbeauftragte, also der Anwalt der
Bürgerinnen und Bürger, auch von der Fraport AG bezahlt wird. Zumal, so die Erfahrung der Autoren, wer sich bei dem
Lärmschutzbeauftragten über die Fraport AG beschwert, von diesem nicht darauf hingewiesen wird, dass man es hier mit einem
von Fraport bezahlten Leihbeamten zu tun hat. Und obwohl selbst bekannte Juristen wie Hans Herbert von Arnim oder der Verwaltungsrechtsexperte Professor
Jürgen Keßler darin eine rechtswidrige Praxis sehen, bleibt diese rechtswidrige Übertragung staatlicher Kontrolle auf Konzernvertreter ungeahndet. Denn
die betroffenen Bürger können allenfalls gerichtlich feststellen lassen, dass die eine oder andere Genehmigung von Nachtflügen nicht rechtens war. 8 Man ist versucht, nur noch mit den Schultern zu zucken, wenn man liest, dass ein Fraport-Manager von 2001 bis
2006 in der Abteilung Luft- und Raumfahrt des Bundesverkehrsministeriums gearbeitet hat, bezahlt von Fraport als »Leiter des Planungsbüros für
Luftraumnutzung am Frankfurter Flughafen« 9 .
Der »Evaluationsbericht zum Personalaustauschprogramm« vom 10. 5. 2006 wird verantwortet von der Deutschen Bank, dem Bundesministerium des Innern und der Hertie School of Governance, also von den Akteuren selbst und einer von der Privatwirtschaft finanzierten Einrichtung. Bezeichnenderweise fehlt in der Untersuchung dann auch die entscheidende Frage, nämlich jene nach einem naheliegenden Interessenkonflikt zwischen dem Staat und der Privatwirtschaft. Läge es nicht auf der Hand zu fragen, ob durch dieses »Crossing-over« nicht jene die Gesetze schreiben, durch die sie selbst kontrolliert werden sollten? »Letztlich bleibt der Evaluationsbericht der Hertie School of Governance ein Rechtfertigungswerk mit der klaren Empfehlung, diesen Weg fortzusetzen, auch in anderen öffentlichen Behörden, etwa auf kommunaler Ebene.« 10
Beispiele für die neuen Kleider unseres Gemeinwesens ließen sich fast auf jedem Gebiet finden. Es gibt kaum einen Bereich, der vor der Privatisierung und damit vor der Kommerzialisierung, also vor Gewinnstreben, geschützt wäre. Besonders bitter ist das im Gesundheitswesen und in der Bildung. Ein anderes Beispiel ist das Verkehrswesen. Obwohl allerschlechteste Erfahrungen aus anderen Ländern vorliegen, betreibt die jeweilige Regierung in Deutschland die Privatisierung der Bahn. In Berlin erinnert man sich gut daran, wie 2010 der S-Bahn-Verkehr über mehrere Monate gestört war, ja teilweise ganz zusammenbrach, weil vorgeschriebene Wartungsarbeiten und Investitionen über Jahre hinweg unterblieben waren. Der Grund für diese fahrlässigen und sinnlosen Einsparungen war so einfach wie ungeheuerlich: Die Bahn, in deren Besitz die S-Bahn ist, bereitete ihren Börsengang vor und brauchte bessere Zahlen. Dass die Topmanager den Börsengang ohne Rücksicht auf Verluste durchziehen wollten, ist verständlich: Die Bundesregierung hatte ihnen Prämien in Millionenhöhe für einen erfolgreichen Börsengang versprochen. So arbeiten demokratisch gewählte Vertreter gegen die Interessen des Gemeinwesens.
Die neuen Selbstverständlichkeiten, die zu Beginn der neunziger Jahre zur Hegemonie gelangten, gelten heute unverändert weiter. Aus einer Welt ohne Alternative leitet sich eine Politik ab, die den logischen Unsinn von »alternativlosen Entscheidungen« propagieren darf.
So lächerlich es uns erscheint, wie im Märchen alle die neuen Kleider bewundern, so selbstverständlich nehmen wir die täglichen Meldungen hin, dass die Regierungen »die Märkte beruhigen« und »das Vertrauen der Märkte wiedergewinnen« müssten. Mit Märkten sind doch in diesem Fall die Börsen und Finanzmärkte gemeint, damit also jene Akteure, die im eigenen Interesse oder im Auftrag anderer spekulieren, um möglichst viel Gewinn zu machen. Sind das nicht jene, die das Gemeinwesen um unvorstellbare Milliarden erleichtert haben? Um deren Vertrauen sollen unsere obersten Volksvertreter ringen?
Dass funktionierende demokratische Strukturen eher als Gegenkraft und Bremse des Kapitalismus wirken können und so auch wahrgenommen werden, machten Ende 2011 die Reaktionen auf die angekündigte Volksabstimmung in Griechenland und deren baldige Rücknahme deutlich. Der damalige griechische
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