Unsere schoenen neuen Kleider
Einnahmen des Staates sind, die ihn in die Verschuldung, in die Krise treiben?
Unser Gemeinwesen wurde und wird von den demokratisch gewählten Volksvertretern systematisch gegen die Wand gefahren, indem es seiner Einnahmen beraubt wird. Der Spitzensteuersatz wurde in Deutschland von der Schröder-Regierung von 53 Prozent auf 42 Prozent gesenkt, die Unternehmenssteuersätze (die Gewerbesteuer und die Körperschaftssteuer) wurden zwischen 1997 und 2009 fast halbiert, nämlich von 57,5 Prozent auf 29,4 Prozent. Die Steuer auf Kapitalerträge, die sogenannte Abgeltungssteuer, wurde auf 25 Prozent gesenkt. Auch die Erbschaftssteuer wurde teilweise abgesenkt.
Sind die Kassen leer, muss noch mehr Vermögen schnell, das heißt günstig für den Käufer, privatisiert werden, müssen Stellen gestrichen und Dienstleistungen privatisiert, müssen Sponsoren gefunden werden, müssen Schwimmbäder und Bibliotheken geschlossen, die Gebühren in der Musikschule erhöht werden etc. etc. Es trifft diejenigen, die jeden Euro umdrehen müssen.
Eine andere Variante, das Gemeinwesen zu schwächen, ist – fast gleichlautend zu den Schmähungen seines Ausgabenverhaltens – der Ruf nach einem schlanken Staat. Schlank ist schön! Wer wollte das nicht, einen entbürokratisierten Staat, einen so schlanken wie schönen Staat? Die neoliberalen Propagandaabteilungen wie die Bertelsmann Stiftung oder die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft – sie sollte eigentlich Initiative Neue Kleider heißen – konnten der Öffentlichkeit dieses Schönheitsideal auch deshalb mit Erfolg unterjubeln, weil es, wie jede Halbwahrheit, berechtigte Kritik enthält. Auch die Bürokratie kann Demokratie verunmöglichen. Was aber nicht gesagt wird: Die Schwächung des Staates führt zu einem Kompetenzverlust. Die Verwaltung des Gemeinwesens kann sich qualifizierte Fachleute kaum mehr leisten, das Geld reicht nicht. Wundersamerweise aber steht die Hilfe schon ungeduldig vor der Tür.
Allein in den Bundesministerien sitzen über einhundert sogenannte Leihbeamte. Das sind Mitarbeiter von Unternehmen und Verbänden, die von diesen auch bezahlt werden, in den Ministerien aber in der Funktion von Beamten arbeiten. Sie wirken an Gesetzen mit, die eigentlich ihre Unternehmen regulieren sollen. Geben Sie im Internet die Suchworte »Lobbyisten in Ministerien« ein oder lesen Sie das Buch Der gekaufte Staat , und Sie können sich darüber informieren, in welchen Ministerien welcher Konzern seine Leute platziert hat. Würde eine Lobbyvereinigung einem Beamten Geld zahlen, damit er Gesetze und Verordnungen in ihrem Sinne beeinflusst, wäre das Korruption und würde bestraft werden. Wenn man aber einen Lobbyisten in ein Ministerium entsendet und ihm Beamtenstatus verleiht, so läuft das offiziell unter dem Namen »Seitenwechsel« und ist ein Element des unter Rot/Grün eingeführten Regierungsprogramms »Moderner Staat – moderne Verwaltung«. Von Austausch kann allerdings keine Rede sein. Während »mehr als 100 Konzernvertreter teilweise jahrelang an Schreibtischen in Bundesministerien sitzen, haben gerade mal zwölf Beamte einen kurzen Bildungsausflug in die freie Wirtschaft absolviert«. 7
Das betrifft aber nicht nur den Bund. Auch auf Landesebene kommt es zu aberwitzigen Konstellationen, die man jedem Romanschreiber als unrealistisch und ausgedacht um die Ohren hauen würde. Und dies nicht zuletzt mit dem Verweis auf den Rechtsstaat und dessen allumfassende Gesetzgebung. So versucht beispielsweise das sogenannte Verwaltungsverfahrensgesetz unter Paragraph 20 die Vetternwirtschaft zu unterbinden, indem es Personen benennt, die von Verwaltungsverfahren ausgeschlossen sind: Verlobte, Ehegatten, Verwandte und Verschwägerte gerader Linie, Geschwister, Kinder der Geschwister usw. Ausgeschlossen wird aber auch, »wer bei einem Beteiligten gegen Entgeld beschäftigt« ist.
Dieses Gesetz ist aber kein Hinderungsgrund, dass beispielsweise zehn Fraport-Mitarbeiter bei der hessischen Luftaufsicht arbeiten und dort über Ausnahmen von Nachtflugverbot entscheiden. Ihr Gehalt erhalten diese Leihbeamten von der Fraport AG . So kontrolliert sich ein Konzern unter der Maske eines Landesministeriums selbst. Unabhängige Kontrolle durch unabhängige Beamte sollte ein Garant für das Funktionieren einer gemeinwohlorientierten demokratischen Verwaltung sein. Das scheint nicht mehr zu gelten.
Vielleicht lässt sich noch eine Erklärung dafür finden, dass der
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