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Unsichtbar

Unsichtbar

Titel: Unsichtbar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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gut. Dann streichen wir es aus unserem Wortschatz.
    Margot schien an meiner kleinen Bemerkung Freude zu haben - jedenfalls schenkte sie mir wieder einmal ein knappes Lächeln und wandte sich dann den Blumen zu: legte sie in die Spüle, entfernte das weiße Einwickelpapier, nahm eine Vase aus dem Schrank, beschnitt die Stiele mit einer Schere, stellte die Blumen in die Vase und füllte die Vase mit Wasser. Keiner von uns sagte ein Wort, während sie sich diesen kleinen Dingen widmete, aber ich sah ihr genau zu und staunte, wie bedächtig und methodisch sie zu Werke ging, als sei das Einstellen von Blumen in eine Vase eine höchst komplizierte Aufgabe, die nur mit äußerster Sorgfalt und Konzentration zu bewältigen war.
    Schließlich landeten wir mit unseren Drinks im Wohnzimmer, setzten uns nebeneinander aufs Sofa, rauchten Zigaretten und schauten durch die großen Fenster nach dem Himmel. Die Dämmerung wich der Dunkelheit, und Born ließ sich immer noch nicht blicken, aber Margot blieb gelassen und schien sich wegen seines Ausbleibens keine Sorgen zu machen. Als wir uns zehn oder zwölf Tage zuvor auf der Party kennengelernt hatten, waren mir ihr beharrliches Schweigen und ihr seltsam fahriges Wesen ziemlich auf die Nerven gegangen, aber jetzt, wo ich wusste, was ich zu erwarten hatte, jetzt, wo ich wusste, dass sie mich mochte und mich zu gut für diese Welt fand, war mir in ihrer Gesellschaft nicht mehr so unbehaglich zumute. Worüber sprachen wir in den Minuten, bevor ihr Mann sich endlich zu uns gesellte? Über New York (das sie schmutzig und deprimierend fand); ihren Wunsch, Malerin zu werden (sie besuchte die School of the Arts, meinte aber, sie habe kein Talent und sei zu faul, sich zu verbessern); seit wann sie Rudolf kannte (schon ihr ganzes Leben lang); und was sie von der Zeitschrift hielt (sie versprach, mir die Daumen zu drücken). Als ich ihr jedoch für ihre Unterstützung danken wollte, schüttelte sie bloß den Kopf und sagte, ich solle mal nicht übertreiben: Sie habe damit nichts zu tun.
    Bevor ich fragen konnte, was das zu bedeuten hatte, trat Born ins Zimmer. Wieder die zerknitterte weiße Hose, wieder das zerzauste Haar, aber diesmal kein Jackett, und irgendein anderes einfarbiges Hemd - blassgrün, wenn ich mich recht erinnere - und zwischen Daumen und Zeigefinger seiner rechten Hand der Stumpen einer erloschenen Zigarre, von dem er gar nicht zu merken schien, dass er ihn hielt. Mein neuer Wohltäter war außer sich, er kochte vor Wut über die Krise oder was immer ihn nötigte, morgen nach Paris zu fliegen, und ohne mir auch nur hallo zu sagen, schlug er seine Pflichten als Gastgeber unserer kleinen Feier in den Wind und ließ eine Tirade vom Stapel, die nicht an Margot oder mich, sondern eher an die Möbel im Zimmer, an die Wände, an die ganze Welt gerichtet war.
    Dämliche Pfuscher, sagte er. Wehleidige Stümper. Verblödete Funktionäre mit nichts als Kartoffelbrei im Schädel. Das Universum steht in Flammen, und sie können nichts als die Hände ringen und dem Feuer zusehen.
    Unerschüttert, vielleicht sogar ein wenig amüsiert, sagte Margot: Deswegen brauchen wir dich, mein Lieber. Weil du der König bist.
    Rudolf der Erste, erwiderte Born, der kluge Junge mit dem großen Schwanz. Ich brauche ihn nur aus der Hose zu holen und auf das Feuer zu pinkeln, und schon ist das Problem gelöst.
    Ganz genau, sagte Margot und grinste so breit, wie ich es bei ihr noch nicht gesehen hatte.
    Ich habe das satt, murmelte Born, während er an die Hausbar trat, seine Zigarre ablegte und sich ein Wasserglas randvoll mit Gin einschenkte. Wie viele Jahre habe ich ihnen gegeben?, fragte er und nahm einen Schluck. Man tut das, weil man an gewisse Prinzipien glaubt, aber das interessiert sie alle einen Dreck. Wir verlieren die Schlacht, meine Freunde. Das Schiff geht unter.
    Das war ein anderer Born als der, den ich bis jetzt kennengelernt hatte - nicht der spröde Spötter, der sich an seinen eigenen Witzeleien berauschte, der deplacierte Dandy, der unbekümmert Zeitschriften gründete und zwanzig Jahre alte Studenten zu sich nach Hause zum Essen einlud. Etwas wütete in ihm, und als sich mir jetzt dieser andere offenbarte, schreckte ich innerlich vor ihm zurück, denn ich begriff, das war ein Mann, der jederzeit explodieren konnte, jemand, der an seiner Wut Freude hatte. Er kippte einen zweiten großen Schluck Gin, richtete seinen Blick auf mich und schien mich jetzt überhaupt erst wahrzunehmen. Ich weiß

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