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Unsichtbar

Unsichtbar

Titel: Unsichtbar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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nicht, was er in meinem Gesicht sah - Erstaunen? Verwirrung? Besorgnis? -, immerhin beunruhigte es ihn so sehr, dass er den Thermostaten sofort herunterdrehte und die Temperatur absenkte. Keine Sorge, Mr. Walker, sagte er und tat sein Bestes, mich anzulächeln. Ich lasse nur ein wenig Dampf ab.
    Mühsam rang er seine Erregung nieder, und als wir zwanzig Minuten später zum Essen Platz nahmen, hatte der Sturm sich gelegt. Jedenfalls schien es mir so, als er Margot ein Kompliment über ihre phantastischen Kochkünste machte und den Wein lobte, den sie zum Essen gekauft hatte; im weiteren Lauf des Abends zeigte sich jedoch, dass das Unwetter nur zeitweilig abgeflaut war, denn immer wieder zogen Gewitter auf und verhagelten uns die festliche Stimmung. Ich weiß nicht, ob der Gin und der Burgunder sich auf Borns Gemütsverfassung auswirkten, denn er schüttete wahrlich eine Menge Alkohol in sich rein - mindestens doppelt so viel wie Margot und ich zusammen -, oder ob er einfach übler Laune war wegen der schlechten Nachrichten, die ihn an diesem Tag erreicht hatten. Vielleicht war es eine Kombination von beidem, vielleicht war es auch etwas ganz anderes; auf alle Fälle hatte ich während der ganzen Mahlzeit das Gefühl, das Haus könnte jederzeit in Flammen aufgehen.
    Es begann, als Born sein Glas erhob und einen Toast auf die Geburt unserer Zeitschrift ausbrachte. Eine elegante kleine Rede, fand ich, doch als ich darauf ein paar Autoren erwähnte, von denen ich Beiträge für die erste Ausgabe erbitten wollte, fiel Born mir mitten im Satz ins Wort und belehrte mich, beim Essen niemals über Geschäfte zu sprechen, das sei schlecht für die Verdauung, und ich sollte allmählich lernen, mich wie ein Erwachsener zu benehmen. Das war unhöflich und nicht sehr freundlich, aber ich ließ mir nicht anmerken, wie sehr mein Stolz verletzt war, tat vielmehr so, als stimme ich ihm zu, und nahm einen weiteren Bissen von Margots Ragout. Unmittelbar darauf legte Born seine Gabel ab und fragte mich: Es gefällt Ihnen, Mr. Walker, oder?
    Was gefällt mir?, fragte ich zurück.
    Das navarin. Sie scheinen es mit Genuss zu verspeisen.
    Es dürfte das beste Essen sein, das ich dieses Jahr zu mir genommen habe.
    Mit anderen Worten, Sie fühlen sich zu Margots Essen hingezogen.
    Sehr. Ich finde es köstlich.
    Und was ist mit Margot selbst? Fühlen Sie sich auch zu ihr hingezogen?
    Sie sitzt mir am Tisch gegenüber. Ich halte es nicht für richtig, über sie zu reden, als sei sie gar nicht anwesend.
    Sie hat sicher nichts dagegen. Stimmt's, Margot?
    Nein, sagte Margot. Ganz und gar nicht.
    Also schön, antwortete ich. Meiner Meinung nach ist Margot eine sehr attraktive Frau.
    Sie weichen der Frage aus, sagte Born. Ich wollte nicht wissen, ob Sie sie attraktiv finden, sondern ob Sie sich zu ihr hingezogen fühlen.
    Sie ist Ihre Frau, Professor Born. Sie können nicht von mir erwarten, dass ich darauf antworte. Nicht hier, nicht jetzt.
    Aber Margot ist nicht meine Frau. Sie ist gewissermaßen meine beste Freundin, aber wir sind nicht miteinander verheiratet, und wir haben auch nicht vor zu heiraten.
    Sie leben zusammen. Was mich betrifft, ist das so gut wie verheiratet.
    Na, na. Nun mal nicht so prüde. Vergessen Sie meine Verbindung mit Margot, ja? Wir reden über einen hypothetischen Fall, rein theoretisch.
    Gut. Hypothetisch gesagt, würde ich mich hypothetisch zu Margot hingezogen fühlen, ja.
    Ausgezeichnet, sagte Born und rieb sich grinsend die Hände. So kommen wir doch weiter. Also: hingezogen in welchem Ausmaß? So sehr, dass Sie sie küssen möchten? So sehr, dass Sie ihren nackten Leib in Ihren Armen halten möchten? So sehr, dass Sie mit ihr schlafen möchten?
    Ich kann diese Fragen nicht beantworten.
    Sie wollen mir doch nicht erzählen, dass Sie noch Jungfrau sind?
    Nein. Ich will Ihre Fragen einfach nicht beantworten, das ist alles.
    Soll ich das so deuten, dass Sie, wenn Margot sich Ihnen an den Hals werfen und Sie bitten würde, mit ihr zu schlafen, kein Interesse hätten? Wollen Sie das sagen? Arme Margot. Sie ahnen nicht, wie sehr Sie sie damit verletzen.
    Wovon reden Sie?
    Fragen Sie sie doch selbst!
    Plötzlich griff Margot über den Tisch und nahm meine Hand. Nicht aufregen, sagte sie. Rudolf will sich nur ein bisschen amüsieren. Sie brauchen nichts zu tun, was Sie nicht wollen.
    Borns Vorstellungen von Amüsement deckten sich leider kein bisschen mit meinen, und in dieser Phase meines Lebens war ich noch kaum gerüstet,

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