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Unsichtbar

Unsichtbar

Titel: Unsichtbar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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bei solchen Spielchen wie dem, in das er mich hineinzuziehen versuchte, mitzumachen. Nein, ich war keine Jungfrau mehr. Ich hatte schon mit einigen Mädchen geschlafen, war bereits mehrmals verliebt gewesen, hatte zwei Jahre zuvor einen schrecklichen Liebeskummer durchlitten, und wie die meisten jungen Männer auf der Welt dachte ich praktisch unablässig an Sex. Die Wahrheit war, dass ich nur zu gern mit Margot geschlafen hätte, aber ich sträubte mich dagegen, mich von Born zu diesem Eingeständnis verleiten zu lassen. Das war kein hypothetischer Fall. Er schien sie mir tatsächlich anbieten zu wollen, und egal, wie es mit dem Sexleben der beiden aussah, egal, was für Spielchen sie mit anderen Leuten trieben, auf mich wirkte die ganze Sache nur hässlich, abartig und krank. Vielleicht hätte ich den Mund aufmachen und ihm das sagen sollen, aber ich hatte Angst - nicht vor Born selbst, sondern davor, dass wir uns überwarfen und er es sich mit unserem Projekt anders überlegte. Ich wollte die Zeitschrift unbedingt zum Laufen bringen, und solange er gewillt war, sie zu finanzieren, war ich bereit, alle möglichen Unannehmlichkeiten und Nachteile hinzunehmen. Also tat ich mein Bestes, mich ihm gegenüber zu behaupten und nicht die Fassung zu verlieren, Schlag auf Schlag abzuwehren, ohne vom Pferd zu fallen, ihm Widerstand zu leisten und gleichzeitig zu Gefallen zu sein.
    Ich bin enttäuscht, sagte Born. Bis jetzt habe ich Sie für einen Abenteurer gehalten, einen Rebellen, einen Mann, der es liebt, allem Konventionellen eine Nase zu drehen, dabei sind Sie genau besehen auch bloß ein Wichtigtuer, ein bourgeoiser Flachkopf. Wie traurig. Sie brüsten sich mit Ihren provenzalischen Dichtern und Ihren erhabenen Idealen, mit Ihrer Kriegsdienstverweigererfeigheit und dieser lächerlichen Krawatte da und halten sich für etwas ganz Besonderes, aber für mich sind Sie bloß ein verhätschelter Bürgersohn, der von Daddys Geld lebt, ein Poseur.
    Rudolf, sagte Margot. Das reicht. Lass ihn in Ruhe.
    Ich weiß, ich bin ein wenig grob, sagte Born zu ihr. Aber der junge Adam und ich sind jetzt Partner, und ich muss wissen, aus was für einem Holz er ist. Kann er sich gegen eine offene Beleidigung behaupten, oder wird er zu einem Häufchen Elend, wenn man ihn angreift?
    Sie haben viel getrunken, sagte ich, und wenn ich das richtig mitbekommen habe, hatten Sie einen harten Tag. Vielleicht sollte ich jetzt besser gehen. Wir können das Gespräch fortsetzen, wenn Sie aus Frankreich zurück sind.
    Unsinn, antwortete Born und schlug mit der Faust auf den Tisch. Wir sind mit dem Ragout noch nicht fertig. Und dann gibt es Salat, nach dem Salat gibt es Käse, und nach dem Käse gibt es Nachtisch. Margot ist für einen Abend schon genug verletzt worden, das mindeste, was wir tun können, ist sitzen bleiben und ihre wunderbaren Speisen aufessen. Unterdessen können Sie uns vielleicht etwas von Westfield, New Jersey, erzählen.
    Westfield?, sagte ich, als ich zu meiner Überraschung feststellen musste, dass Born wusste, wo ich aufgewachsen war. Woher wissen Sie von Westfield?
    Das war nicht schwer, sagte er. Rein zufällig habe ich in den vergangenen Jahen eine Menge über Sie in Erfahrung gebracht. Ihr Vater, zum Beispiel, Joseph Walker, vierundfünfzig Jahre alt, besser bekannt als Bud, besitzt und betreibt den Shop-Rite-Supermarkt in der Hauptstraße von Westfield. Ihre Mutter, Marjorie, alias Marge, ist sechsundvierzig und hat drei Kinder zur Welt gebracht: im November neunzehnfünfundvierzig Ihre Schwester Gwyn, im März neunzehnsiebenundvierzig Sie und im Juli neunzehnfünfzig Ihren Bruder Andrew. Eine tragische Geschichte. Der kleine Andy ertrank im Alter von sieben Jahren, und mich schmerzt der Gedanke, wie unerträglich dieser Verlust für Sie alle gewesen sein muss. Ich hatte eine Schwester, die etwa im selben Alter an Krebs gestorben ist, und ich weiß, wie furchtbar sich ein solcher Todesfall auf eine Familie auswirkt. Ihr Vater hat seine Trauer bewältigt, indem er vierzehn Stunden am Tag gearbeitet hat, sechs Tage die Woche, während Ihre Mutter sich in sich selbst verkrochen und ihre quälenden Depressionen mit hohen Dosen rezeptpflichtiger Pharmazeutika und wöchentlich zwei Sitzungen beim Psychotherapeuten bekämpft hat. Mir erscheint es wie ein Wunder, wie gut Sie und Ihre Schwester sich angesichts einer solchen Katastrophe gehalten haben. Gwyn ist eine schöne und talentierte junge Frau im letzten Studienjahr in Vassar und

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