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Unsichtbare Blicke

Unsichtbare Blicke

Titel: Unsichtbare Blicke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Maria Reifenberg
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auf der Gegensprechanlage am Telefon. «Frau Moll, verbinden Sie mich …»
    «Dann verlange ich einfach», unterbrach Stella ihn, «dass Sie sich noch einmal den Erlass anschauen, der die Rolle und Zuständigkeiten meines Teams verbindlich regelt. Ausschließlich ich bin weisungsbefugt. Notwendige Absprachen mit der Staatsanwaltschaft treffe ich direkt.»
    Winterstein schwieg.
    «Gut», sagte Stella. Sie stand auf und ging zur Tür.
    «Frau van Wahden», hörte sie Winterstein in ihrem Rücken. «Das ganze Bundeskriminalamt mag sich auf Sie einen runterholen, aber diesen Tag werden Sie bereuen!»
    Mehr als ein Achselzucken gönnte Stella ihm nicht. Ihr war offene Feindschaft lieber als das, was bisher gelaufen war. Als am Abend die ersten Meldungen in den Onlineausgaben der Zeitungen erschienen, gönnte Stella dem Team und sich eine Runde Pizza und ein paar Bier. Im Dienst. Die spektakuläre Verhaftung im Fall Josie S. und Sarah D. musste schließlich gefeiert werden.
    Wirklich wichtig waren jedoch die Ergebnisse von Muthaus’ und Kronens Ermittlungen, die besonders Muthaus mit unverhohlenem Stolz referierte.
    Er hatte Stella einen Namen geliefert.
    David Wester, mit erstem Wohnsitz gemeldet in einem Kaff nahe Coburg, ein Apartment in Weimar, wo auch sein Arbeitgeber, eine Immobiliengesellschaft, ihren Hauptsitz hatte. Wenn sie nicht völlig auf dem Holzweg waren, musste dieser David Wester ihr Mann sein.
    «Ich brauche ein paar Leute, die ihn nicht mehr aus den Augen lassen. Unauffällig, nein, unsichtbar. Kein Kontakt», ordnete Stella an.

47
    Ich konnte einschätzen, wie lange er wegblieb. Er stellte mir genau so viel Wasser und Lebensmittel hin, wie ich brauchte. Für einen Tag oder für zwei Tage. Länger blieb er nicht weg. Ob er nachts draußen saß und mich beobachtete, zuschaute, wie ich schlief, wie ich mich hin und her warf und schwitzend aufwachte, aus Träumen, die ich meinem schlimmsten Feind nicht wünschte – ich wusste es nicht.
    Wenn er da war, verliefen die Stunden nach einem immer ähnlichen Rhythmus. Er kam, brachte das Frühstück, sprach ein paar Worte mit mir und ging. Manchmal stellte er mir auch etwas für den Mittag hin, dann wusste ich, dass er frühestens in sieben oder acht Stunden wieder auftauchen würde.
    Er ging zur Arbeit, in ein Büro, vielleicht eine Bank oder Sparkasse. Ein wenig sah er mit seinem Anzug und den Krawatten und den blauen Hemden aus wie einer von der Sparkasse. Morgens roch er nach einem Rasierwasser. Gewürze, Leder. Ein angenehmes Gefühl, auch wenn ich mir das nicht eingestehen wollte, dass es irgendetwas an ihm gab, das nicht widerlich sein konnte. In diesem Moment wünschte ich mir mehr als je zuvor, dass meine Sinne mir ein eindeutiges Signal gaben, nicht zu einer Verirrung führten, die fast schon pervers war. Ich hasste diesen Mann, ich verabscheute ihn, allein sein Anblick löste Übelkeit in mir aus. Aber sein Geruch fühlte sich an wie Gänsedaunen auf der Haut.
    Es ist nur sein Parfüm, nicht er, hämmerte ich mir ein, nur ein Spritzer Flüssigkeit am Morgen auf seine Wangen. Wenn du den Nacken eines Schweins damit einreibst, fühlt es sich anschließend genauso an.
    Manchmal trug er Jeans und T-Shirts, wie am ersten Tag, dann war vermutlich Samstag oder Sonntag.
    Abends brachte er meine Mahlzeit, setzte sich neben mich, sah mir beim Essen zu. Wenn er darauf wartete, dass ich ihn nach Geronimo fragte oder was es mit dem anderen Namen, den meine Mutter mir angeblich gegeben hatte, auf sich hatte, konnte er lange warten.
    Er plauderte, als träfen wir uns am Ende eines Tages und berichteten über die großen und kleinen Ereignisse, nur dass es ein Monolog war. Fast schien es, als brauchte er gar keine Antworten.
    Auf einer norwegischen Ferieninsel habe ein Mann siebzig Jugendliche erschossen, einfach so. Er sei hingegangen und habe geschossen. Sogar auf die flüchtenden Kinder, die versuchten, ihm zu entkommen. Sie waren ins kalte Wasser der Ostsee gesprungen, um zum Festland zu schwimmen.
    «Bam bam bam», sagte er. «Einfach so. Bam.»
    Es erschreckte mich, wie gleichgültig mir das in diesem Augenblick war. Ich wusste nicht einmal, ob es stimmte, ob er mir nicht einfach Angst machen wollte. Ich brauchte keine Angst. Ich hatte genug davon. Angst von draußen sollte draußen bleiben. Mich interessierten keine Kinder in Norwegen.
    Der Mann hatte auch eine Bombe gelegt, in Oslo. Er hatte monatelang das Material dafür im Internet bestellt und sich auf

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