Unsichtbare Blicke
wenig. Sie meinten es ernst.
Einige Mannschaftswagen reihten sich auf der Zufahrt hoch bis zur Straße auf; sie spuckten immer neue Uniformierte aus; sie sammelten sich um einen jungen Rothaarigen, der die Aktion zu leiten schien und in zackigem Tonfall Anweisungen gab. Er kannte ihn, aus dem Nachbarort, Graner oder Kraner war sein Name, und er vögelte hinter dem Rücken seiner Frau mit allem, was nicht bei drei auf dem Baum war.
Tschelcher hatte von einer Polizistin – fesches Mädel, hatte er sie genannt – und einem Japaner gesprochen. Es hatte geklungen, als sei
Japaner
ebenfalls eine Berufsbezeichnung oder auch eine Deformation oder ein Gerät, das die Polizistin sich umschnallte, ein tragbarer Lügendetektor oder eine neuartige Waffe. In mancherlei Hinsicht war Tschelcher ein einfältiger und spießiger Typ. Deutsche Polizei und ein Japaner, das ging gar nicht.
Von einem Japaner war nun nichts zu sehen, und auch die Frau war nicht das angekündigte fesche Mädel. Ihr Kollege sah aus wie ein Penner und stellte sich als Lorenz Muthaus, die Beamtin an seiner Seite als Petra Kronen vor. Die Frau hielt ihm einen Durchsuchungsbeschluss vor die Nase.
Ein bisschen wurmte es ihn, dass sie nicht die erste Garde geschickt hatten. Die Sonderermittlerin, die im vergangenen Jahr in die Schlagzeilen geraten war. Gegen die eigene Kollegin, eigentlich eher die eigene Vorgesetzte, hatte sie ermittelt. Seit nun alles durch die Presse ging, hatte er sich mit ihr beschäftigt. Er wusste einiges über sie, jedenfalls das, was sich im Internet finden ließ. Leider konnte er es nicht gegen sie ausspielen.
Die Vorstellung, in den Clinch mit ihr zu gehen, reizte ihn sehr; das hatte etwas von Navy CIS , das war Hollywood, aber in Hollywood siegten immer die Ermittler. Und hier würde er siegen. Sie würde sich die Zähne an ihm ausbeißen.
Sie hatten ihn gefunden. Zugetraut hatte er es ihnen nicht, aber gefasst war er letztendlich die ganze Zeit über auf alles gewesen. Tschelchers Warnung hatte er eigentlich nicht gebraucht.
Die Neugier hatte Tschelcher fast zerfressen. Er beteuerte immer wieder, aus ihm sei nichts herauszukriegen gewesen, er habe die Klappe gehalten, wer weiß, was die vorhatten und so weiter, und ob es mit seinen Eltern zu tun habe, das sei doch eine alte Sache und ein Unfall und so weiter.
«Herr Wester? Können wir?», fragte einer der beiden Uniformierten, die ihn wegbringen sollten.
Er fragte, ob er verhaftet sei, und der Pennertyp versicherte, es sei nur eine Befragung, und wenn es ungünstig sei, könne man gerne einen Termin vereinbaren. Ob das Ironie oder Ernst war, hatte er nicht unterscheiden können; nicht einmal Gedanken darüber, ob er das Recht hatte, bei der Durchsuchung anwesend zu sein, machte er sich.
Weitaus mehr hatte er in den Stunden seit Tschelchers Warnung darüber nachgedacht,
wie
sie auf ihn gekommen waren. Ab und zu hatte er Risiken in Kauf nehmen müssen.
Vielleicht hatte ihnen ein Zufall geholfen, irgendwo war er gesehen worden, von jemand, der ihn kannte. Als er mit dem Auto unterwegs gewesen war. Auf Spuren hatte er so penibel geachtet. Selbst wenn es doch irgendetwas gegeben hatte, woraus sie eine DNA -Analyse hätten machen können – ihnen fehlte der Vergleich. Er war nie in irgendeine Fahndung geraten, hatte nie eine Speichelprobe oder irgendetwas abgeben müssen. Sein genetischer Fingerabdruck konnte nirgendwo gespeichert sein. Für seine eigenen Tests bei den Mädchen hatte er nur ausländische Labors ausgesucht, anonym und verschwiegen, in Ländern, die es nicht so genau nahmen. Irgendetwas hatte diese Sonderermittlerin gefunden. Irgendetwas hatte auf ihn hingewiesen.
«Schließen Sie nachher bitte ab und achten Sie auf die Hintertür, die klemmt», sagte er. «Das ist eine einsame Gegend hier.»
Er stieg in den Streifenwagen. Sie fuhren hoch bis zur Landstraße, kurz vorher beobachtete er zwei Taucher, die in den Schafsteich wateten. Was für ein Unsinn, dachte er, was suchen sie da? Leichen?, fragte er sich und musste wieder lächeln. Der junge Wachtmeister hinter dem Steuer warf in diesem Moment einen Blick in den Rückspiegel.
Er nahm sich vor, ab jetzt seine Gefühle und Regungen besser, hundertprozentig unter Kontrolle zu halten. Er wusste doch, wie das ging, das verlernte man nie. Mehr als zehn Jahre hatte er drüben üben dürfen. Das war wie Fahrradfahren oder Schwimmen. Das hatte er beides nicht gelernt als Junge, aber sich nichts anmerken zu lassen,
Weitere Kostenlose Bücher