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Unsichtbare Blicke

Unsichtbare Blicke

Titel: Unsichtbare Blicke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Maria Reifenberg
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darüber, nach klassischen Ausbildungskriterien wäre sie damit für den Polizeidienst wahrscheinlich gänzlich ungeeignet.
    Wester berührte nichts in ihr. Selbst eine halbwegs gut gemachte Margarinewerbung löste mehr in ihr aus.
    «Ich sollte ein Buch schreiben, oder?», fragte er nach einer Weile. «Wie diese Odenwald-Sprösslinge? Denen hat es aber auch nichts genutzt.»
    «Was hat denen nichts genutzt?»
    «Dass sie aus schicken Münchner Villenvororten stammten oder aus Eimsbüttel.»
    «Ich verstehe den Zusammenhang nicht ganz.»
    «Es ist egal, woher du kommst. Wenn sie dich aufgeben, bist du verloren. Es ist überall gleich.»
    War es das? Hatte er ihr gerade ein Signal gegeben? Stella schaute ihn ruhig an. Er verzog keine Miene. Es war auch nichts in seinem Gesicht oder an seiner Haltung gewesen. Ein Zwischenton, aber Stella verlor ihn wieder.
    «Wie haben Sie das …»
    «Überlebt?», schoss Wester dazwischen. «Wie man so etwas überlebt?»
    Stella nickte.
    «Es haben auch Leute die Konzentrationslager überlebt.»
    «Übertreiben Sie jetzt nicht ein bisschen?»
    «Nein. Sie überleben alles, wenn Sie wissen, wie man die Dinge nicht an sich heranlässt. Und wenn man kapiert hat, wie es funktioniert. Macht ist eine Energie. Sie geht von oben nach unten, und du musst wissen, wie man sie weitergibt. Nur wer ganz unten ist, überlebt nicht.»
    «Sie waren nicht ganz unten?»
    Wester antwortete nicht, und Stella drängte nicht. Wieder breitete sich eine lange Stille aus. Sie hatte damit gerechnet, dass er es ihr schwermachen würde. Ein Weichei zog nicht etwas wie diese Reihe von Taten durch. Ihr war von vorneherein klar gewesen, dass sie nicht nach einem Kellerkind mit fettigen Haaren und Eigelbflecken auf der Strickweste suchten, nach niemanden, der von seinen Trieben gesteuert Mädchen ertränkte. Ihr Täter war ein berechnender Soziopath.
    Einer wie der Mann, der vor ihr saß.
    Nach einer Weile durchbrach Stella das Schweigen. «Nach der Wende sind Sie dann hierhergekommen?»
    «Das hatten wir doch schon …»
    Zum ersten Mal hörte Stella etwas wie Ungeduld.
    «Erzählen Sie mir von Ihrem Leben hier im Ort. Sie sind Mitglied bei den Schützen und bei den Johannitern?»
    «Richtig.»
    «Was bedeutet Ihnen dieses Engagement?»
    «Man kann sich in einem Kaff wie diesem nicht aus allem raushalten. Dann zieht man besser in die Stadt.»
    «Sie haben noch ein Apartment in Weimar.»
    «Das ist keine Stadt. Das ist auch ein Dorf, drei Monate, und es kennt dich jeder.»
    «Wo bewahren Sie eigentlich Ihre Waffen auf?»
    «Welche Waffen?»
    «Sie sind Schütze … Schützenbruder, so sagt man doch?»
    Er grinste. Es war die erste echte Regung. Er beugte sich nach vorne und stützte die Hände auf die Oberschenkel. «Ich habe keine Waffen. Oder haben Sie welche gefunden?»
    Stella setzte ihrerseits ein Pokerface auf. «Ich habe noch keine Nachricht von den Kollegen.»
    «Die brauchen Sie auch nicht. Sie waren doch schon in der Hütte.»
    «Wie kommen Sie darauf?»
    Er grinste und schwieg.

54
    Er ließ sie im Dunkeln darüber, woher er es wusste. Eigentlich vermutete er es nur, aber das war auch egal. Vor einiger Zeit hatte er mit dem Gedanken gespielt, eine Videoüberwachung an der Hütte zu installieren, aber das war hinausgeschmissenes Geld. Es war ihr jedenfalls nicht anzumerken, ob er recht hatte oder nicht.
    Langsam wurde ihm warm. Die Haltung bewahren. Nicht einmal die Krawatte würde er lockern, obwohl er spürte, wie ihm der Schweiß unter den Armen und auf dem Rücken zu laufen begann. Die ganze Zeit fragte er sich, ob sie nur die Zeit überbrückte, bis die Durchsuchung abgeschlossen war. Oder vielleicht bis der Japaner sein Alibi überprüft hatte.
    Monk würde es blind bestätigen, aber er hatte ihn sicherheitshalber instruiert. Eine Kerbe mehr. Er musste darauf achten, dass es nicht zu viele auf Monks Seite wurden. Er hatte keine Ahnung, was Monk sich zusammenreimte, vielleicht sogar wusste. Die Verbindungen seines alten Freundes reichten in alle Ecken.
    «Herr Wester?», hörte er plötzlich wieder ihre Stimme.
    Seine Gedanken waren abgeschweift.
    «Ja?»
    «Ich habe Sie gefragt, ob Sie diese Frau kennen.»
    Die Polizistin klopfte auf ein Foto. Es lag vor ihm auf dem Tisch. Er streckte die Hand danach aus, aber sie zog es weg, hielt es ihm selbst vor die Nase.
    Er erkannte das Gesicht sofort, obwohl das Foto ein paar Jahre alt sein musste. Daher wehte also der Wind. Aber das hatte nichts zu sagen.

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