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Unsichtbare Blicke

Unsichtbare Blicke

Titel: Unsichtbare Blicke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Maria Reifenberg
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wir bisher wissen? – Miki, geht das?»
    Die Männer nickten, beide mit einem mürrischen Blick, aber Muthaus zog seine Leute ab, und Saito begleitete sie nach draußen.
    Stella hockte sich neben den toten Körper. Am linken Handgelenk befanden sich Schnitte, Risse und Schrammen. Jemand hatte versucht, ihr die Pulsadern zu öffnen, dilettantisch, mit viel Aufwand und wahrscheinlich wenig Effekt. An der linken Hand. Sie selbst? Viel Blut war nicht zu sehen. Die Wunden waren relativ frisch. Sie hatte noch nicht sehr lange hier gelegen, das erkannte Stella auch ohne den Gerichtsmediziner, höchstens ein paar Tage vielleicht. Gefunden hatten sie ein paar Punks, die die Nacht auf den Sofas verbringen wollten.
    Eine Weile verharrte Stella, dann umrundete sie die Leiche mit langsamen Schritten. Keiner der Heiligen hatte dem Mädchen helfen können, aber sie hatten gesehen, wie sie hier niedergelegt worden war. Wie immer waren Heilige eher eine virtuelle Hilfe, nichts, was man fassen und festnageln konnte. Und stumm waren sie sowieso.
    Stumme Heilige. Da hätte er sie auch gleich in den Kölner Dom legen können. «Was machst du mit ihnen?», flüsterte Stella.
    Das erste Opfer war völlig unversehrt gewesen, keine Schnitte, nicht an den Armen, nirgends. Und vor allem: kein sexueller Missbrauch. Nicht vor der Tötung und auch nicht nachher. Auf den ersten Blick sah es hier genauso aus, aber das musste dieser Schröder ihnen sagen.
    Als sie das Gebäude verließ, stand Muthaus mit einem Zigarillo vor der Fabrikhalle und lachte. Saito lachte mit, aber es war zu erkennen, dass er den Kollegen einfach nur bei Stimmung halten wollte.
    «Was halten Sie davon?», fragte Stella.
    Muthaus schaltete sofort um. «Aus dem Bauch?»
    «Woher sonst?»
    Ein Grinsen huschte über Muthaus’ Miene.
    «Wirkt inszeniert», sagte er nach zwei weiteren Zügen an dem Zigarillo. «Ein Stück nach dem Serienmörder-Lehrbuch. Er tut so, als wolle er Beachtung und all das, der ganze Mist, Heilige, mehr Symbolik geht ja kaum, aber irgendwie ist da nichts … wie soll ich sagen …»
    «Es fehlt die Botschaft an uns?», fragte Stella.
    «Ja, genau. Oder wir verstehen sie nicht.» Muthaus flitschte den Stummel auf den Boden. «Ah, verdammt», knurrte er und hob ihn auf. «Ich kontaminiere den Fundort, ist mir schon klar.»
    «Bei der Spurenlage macht das den Kohl auch nicht fett», beruhigte Stella ihn. Sie meinte es sogar ernst.
    «Vielleicht kommt sie erst beim nächsten Opfer», sagte Muthaus.
    «Was?»
    «Die Botschaft.»
    Stella nickte. Offenbar dachte der Kollege dasselbe wie sie. Es sah nicht danach aus, dass dies das letzte Opfer gewesen sein würde.
    Nach ein paar Worten, die sie mit dem zitternden Punkmädchen wechselte, das ständig den rot karierten Minirock aus schwerem Tuch glattstrich und schluchzte, und ihrem Freund, dessen blasses Gesicht nervös zuckte, bat Stella: «Muthaus, befragen Sie bitte alles und jeden im Umkreis von zwei Kilometern, fahren sie das volle Programm ab. Miki Saito und ich kümmern uns um die Familie.»
    Bevor sie sich ins Auto setzte, wandte sie sich noch einmal an den Kollegen, der fast wieder im Inneren der Halle verschwunden war. «Und stellen Sie sich darauf ein, dass wir in den nächsten Wochen ziemlich eng zusammenarbeiten werden. Wir machen das von Köln aus. An Ihre Vorgesetzten wende ich mich. Ihre restlichen Akten können Sie schon mal auf andere Kommissariate verteilen.»
    Muthaus schaute sie an. Ohne eine Miene zu verziehen, drehte er auf dem Absatz um und verschwand in der Halle.

11
    Ich hatte Felix seit unserem kleinen Unfall mit Bugsie nicht mehr gesehen, aber ich hatte so ziemlich jeden Tag an ihn gedacht. Vielleicht gab es das ja doch, diesen einen Blick zu viel.
    Plötzlich stand er vor meinem Klassenzimmer. Scheinbar hatte er den Pausengong und den Lärm, der sich höchstens zwanzig Sekunden darauf in der gesamten Schule ausbreitete, überhört. Allerdings war er ein schlechter Schauspieler. Unsere Klasse behielt er nämlich genau im Blick, obwohl er so tat, als lese er in einem Buch. Er lehnte an der braun gekachelten Wand, die ihm ungefähr bis zur Brust reichte und auf dieser Höhe in eine breite Fensterbank überging.
    Durch den Staub auf den Scheiben kämpften sich ein paar Sonnenstrahlen, die ersten Vorboten des Sommers. Sollte es so bleiben, entwickelten sich die Flure in wenigen Tagen zu wahren Bratröhren.
    «Macht sich gut, Feliciano», sagte ein Mädchen. «Nimmt dir aber keiner

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