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Unsichtbare Blicke

Unsichtbare Blicke

Titel: Unsichtbare Blicke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Maria Reifenberg
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Tankstelle vorbei direkt zur Raststätte. Der Wagen kam quer über zwei Frauenparkplätzen zum Stehen.
    «Gleich wieder da», schmiss er ihr hin. Ohne eine Nachfrage, welchen Kaffee sie wünschte, umrundete er das Auto und verschwand in dem unansehnlichen Gebäude.
    Stella öffnete die Beifahrertür und setzte die Füße auf den Asphalt. Das Piktogramm auf dem grauen Belag war unmissverständlich. Es war nicht der Frauenparkplatz; die parkten nicht in Rollstühlen. Sie überlegte es sich anders und blieb sitzen. Ein paar Minuten später stand Miki mit einem kleinen und einem großen Kaffeebecher vor ihr.
    «Doppelter Cappuccino, vier Zucker?»
    «Zu wenig.»
    Er stellte die Becher auf das Autodach, fischte ein weiteres Päckchen aus der Hosentasche und riss das Papier mit den Zähnen auf. Mit einer Hand schob er den Deckel des größeren Bechers auf, mit der anderen schnippte er die Zuckerstückchen hinein.
    «Nicht rühren, nicht schütteln», sagte er.
    Stella liebte es, wenn der Kaffee zuerst scharf an den Geschmacksknospen zerrte, um sie zum Ende hin in einem süßen Inferno zu ertränken. «Du lernst schnell», sagte sie und schickte ein Lächeln hinterher. «Ich fahre weiter. Du rufst bei der Uni an, wir brauchen einen Mathematiker. Diese verfluchten Zahlen. Ich will verdammt noch mal wissen, was mit diesen Zahlen ist.»
    Die schlimmste Vorstellung war, dass es auch 001 , 003 , 005 , 007 und 009 gab. Es war unwahrscheinlich, aber möglich war alles. Oder er hatte sein Muster geändert, wenn man überhaupt von einem Muster sprechen konnte. Oder er war noch nicht lange in Deutschland aktiv.
    «Wir sollten eine Anfrage rausgeben, weltweit. Frag nach den Zahlen», sagte sie. «Die Zahlen und ertränkt, beides zusammen.»

13
    Ich brachte den Rest des Schultages irgendwie hinter mich. Weil Sport ausfiel, forderte das nicht allzu viel Energie. Meine Gedanken titschten zwischen Felix und Felix und Felix hin und her, was dazu führte, dass ich in Erdkunde wie ein nach Luft schnappender Fisch aussah, als die Frage nach der Bedeutung
seltener Erden
für die wirtschaftliche Entwicklung Chinas mich aus meinen Gedanken riss.
    «Metalle», stotterte ich und irgendetwas von Handys, für die man sie brauchte.
    «Danke, Josie, so weit waren wir auch schon», zickte Herr Rosenbauer mich an.
    Manchmal fragte ich mich, was er eigentlich wollte. Es schien, als sei unser Desinteresse an seinem Unterricht für ihn eine persönliche Beleidigung. Mich interessierte China einfach nicht, das war alles. Eine Milliarde Menschen, die es nicht schafften, sich gegen ihre Regierung zu wehren, und seit neuestem waren asiatische Tigermütter das große Vorbild, die ihren Kindern die Stofftiere verbrannten, wenn sie mit vier Jahren nicht mindestens Konzertpianisten waren.
    «Soll ich dich mitnehmen?», fragte Sarah, nachdem wir Rosenbauer und das chinesische Bruttosozialprodukt hinter uns gebracht hatten. Seit ihrem sechzehnten Geburtstag fuhr Sarah eine quietschgelbe Vespa.
    Gelb war die Farbe der Freiheit. Weg aus diesem Kaff, abends noch eine Runde drehen, freitags rüber ins Poseidon, am Wochenende zum Ruhrberger See – Biene Maja, wie Sarah die Knatterkiste getauft hatte, machte es möglich.
    «Besser nicht», sagte ich. «Mein Vater mag nicht …»
    «Nun hör mit deinem Vater auf. Wenn es danach ginge, was der will, würdest du im Kloster vertrocknen.»
    Sarah öffnete die Sitzbank des Rollers. Es lag immer ein zweiter Helm darin. Als ich ihn aufsetzen wollte, rutschte meine Tasche von der Schulter und ergoss ihren Inhalt auf den Gehweg. Sarah half mir, den ganzen Kram aufzulesen. Dabei segelte ihr der Zettel von Felix entgegen.
    Auf dem Stückchen Papier, das er wie ein Lesezeichen in meine Madame Bovary gelegt hatte, stand eine Handynummer, darunter ein Smiley mit Segelohren, sonst nichts. Kein Name, kein
Ruf doch mal an
oder
Du bist das tollste Mädchen der Welt
oder
Wie wäre es mit Kino am Wochenende
?
    «Ich muss da wohl ein bisschen nachhelfen?», bot Sarah mir an.
    «Bloß nicht.»
    Sarahs Kuppelversuche hatten schon oft genug Unheil angerichtet und Sandkastenfreundschaften auf ewig zerstört.
    «Vielleicht ist der Zettel gar nicht für mich bestimmt, vielleicht ist es irgendein Zettel, vielleicht ist es die Nummer seines besten Freundes –»
    «Tata tata tataaa», unterbrach Sarah meinen Schwall. «Felix hat keine besten Freunde. Zeig den Zettel.»
    Ich gab ihn ihr. Das war ein Fehler. Sie tippte die Nummer in ihr

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