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Unsichtbare Spuren

Unsichtbare Spuren

Titel: Unsichtbare Spuren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
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nicht. Warum hat dieser Tschikatilo es getan? «
    Friedrichsen zuckte mit den Schultern .
    » Er war zornig «, sagte Henning leise.
    » Siehst du, das ist die Antwort, die ich aber vorhin schon gegeben habe. Zorn. Unsäglicher, unbeschreiblicher Zorn. Das ist wie ein Druckluftkessel, in dem sich Enttäuschung, nicht erfahrene Liebe … «
    » Wieso nicht erfahrene Liebe? Deinen Ausführungen zufolge hat seine Mutter ihn mit Liebe erdrückt. «
    Friedrichsen lächelte still vor sich hin, bevor er antwortete : » Definier mir Liebe. Wie würdest du dich als Kind fühlen, wenn deine Mutter dir sagt, sie liebt dich über alles, aber gleichzeitig verbietet sie dir, mit andern Kindern zu spielen? Ist das Liebe? Eine solche Mutter benutzt das Kind für ihre eigenen Zwecke, sie ist die Herrscherin, der sich das Kind nicht entziehen kann, aber nicht nur das, es hat sich der Herrscherin bedingungslos unterzuordnen. «
    » Okay, weiter «, sagte Henning .
    » Ich war beim Druckluftkessel, oder? «
    » Hm. «
    » In dem befinden sich Enttäuschung, nicht erfahrene Liebe, Verbote, Maßregelungen und eine Menge mehr an Negativem. Das ist wie eine Hexenküche, es brodelt und brodelt, bis der Kessel, in dem Fall der Täter, zu explodieren droht. Aber bevor es so weit kommt, lässt er seinem Zorn und seiner Enttäuschung freien Lauf und tötet. Der Druck ist für den Moment weg, aber er kehrt wieder, immer stärker und immer schneller. Ich habe mir die Fälle angeschaut und dabei festgestellt, dass sich seine Rate von Jahr zu Jahr gesteigert hat. Und ich gebe dir Recht, es ist durchaus möglich, dass er für weit mehr als nur diese bisher dreiunddreißig Morde in Frage kommt. Ich gehe inzwischen auch von mindestens fünfzig aus, es kann aber auch sein, dass es hundert oder mehr sind. «
    » Aber wieso passieren all diese Zufälle? «, fragte Henning. » Das geht nicht in meinen Kopf rein. Verfügt er über mediale Fähigkeiten, dass er sagen kann, hier und jetzt werde ich ein Opfer finden, weil zum Beispiel ein Zigarettenautomat kaputt ist? «
    » Kein Kommentar. Ich habe bereits vorgestern versucht, euch den Begriff Zufall näher zu erläutern, ich werde mich nicht wiederholen. Fragt ihn, wenn ihr ihn habt. Doch ich fürchte, er wird euch auch keine Antwort darauf geben können. « Und nach einer Pause: » Ich bin mit dem Profil aber noch längst nicht fertig, die Persönlichkeit des Täters ist derart komplex, das dauert noch. «
    » Wie alt schätzt du ihn? «
    » Wenn wir davon ausgehen, dass er seinen ersten Mord vor vierzehn Jahren begangen hat, dürfte er zwischen Anfang und Ende dreißig sein. «
    » Das könnte bedeuten, dass seine Mutter noch lebt «, sagte Henning und fasste sich ans Kinn. » Vorausgesetzt, sie lebt noch, wäre er in der Lage, sie zu töten? Ich meine, würde er es fertig bringen? «
    » Schwer zu sagen, aber eher nicht. Sie ist der Grund für seinen Hass und seinen Zorn, aber sie ist seine Mutter, und an der vergreift man sich nicht. Sie hatte ihn im Bauch, sie hat ihn geboren, sie hat ihm zu essen gegeben … Man sucht sich andere Opfer, die stellvertretend für sie stehen. «
    » Kinder? Männer? «, meinte Santos zweifelnd .
    » Ich sag doch schon, ich weiß viel zu wenig von ihm. Sonst noch Fragen? Wenn nicht, würde ich mich gerne wieder an die Arbeit machen. « Friedrichsen stand auf, steckte die Mappe in den Koffer und bewegte sich schon auf die Tür zu, als er innehielt und sagte: » Ach ja, das hätt ich beinahe vergessen. Er hat keine Lust mehr. «
    » Stopp! Was meinst du mit er hat keine Lust mehr? «, fragte Henning.
    » Er ist das Morden leid. Er will geschnappt werden. Deshalb auch seine beiden Schreiben. Er weiß, dass er das Spiel verlieren wird, weil er es verlieren will. «
    » Was macht dich da so sicher? «
    » Es muss irgendetwas in seinem Leben passiert sein, das ihn dazu bewogen hat, dem allen ein Ende zu bereiten. «
    Friedrichsen wollte bereits die Hand auf die Klinke legen, als Santos sagte: » Hältst du es für möglich, dass er noch mit seiner Mutter unter einem Dach lebt? «
    » Ja, ich halte es sogar für sehr wahrscheinlich. Sie lässt ihn nicht los, und er ist unfähig, sich von ihr zu lösen. Wenn ihr ihn finden wollt, müsst ihr seine Mutter ins Spiel mit einbeziehen. Sie ist der Schlüssel zu allem. «
    » Danke, Jan «, sagte Harms, beugte sich nach vorn, wartete, bis Friedrichsen das Büro verlassen hatte, nahm einen Bleistift, drehte ihn zwischen den Fingern und

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