Unsichtbare Spuren
du nicht diese unsägliche Arroganz bemerkt, als er hier gesessen hat? Und wenn einer von euch glaubt, dass er die Kopien für sich haben will, dann sag ich nur: blauäugig. Weiß der Geier, wem er das alles zeigt, aber es werden mit Sicherheit Typen sein, die wir hier nicht gebrauchen können. «
Friedrichsen, der sich wie stets dezent zurückgehalten hatte, meldete sich zu Wort. » Sören, ich weiß, dass du Ratschläge nicht gerne annimmst, aber ein klein wenig mehr Diplomatie könnte nicht schaden. Und noch was: Wenn du emotional an den Fall rangehst, wirst du verlieren. Nur ein gutgemeinter Rat von mir. Außerdem sind wir ein Team, doch ich werde das Gefühl nicht los, als ob du den Fall ganz allein lösen möchtest. Das schaffst du aber nicht.«
Henning setzte sich wieder und sagte: »Tut mir leid wegen eben, aber es gibt einfach Leute, da krieg ich die Krätze. Und Kieper zählt nun mal dazu. Egal. Doch um eins klarzustellen, ich will keinen Alleingang starten, falls das so rübergekommen sein sollte. Ich brauch dich, ich brauch Lisa und Volker und wen immer wir noch kriegen können. Aber ich bin auch ganz ehrlich, ich bin heiß drauf, diesen verdammten Hurensohn zu schnappen. Ich will ihm die Handschellen anlegen, ich will ihm die Rechte vorlesen, und ich will abwechselnd mit Lisa das erste Verhör durchführen. Es geht mir nicht um Kompetenzen, es geht einfach darum, dass ich, und das mag sich überheblich anhören, noch der Einzige bin, der ihn einigermaßen kennt. Und er wird uns, da bin ich absolut sicher, in den nächsten Tagen und Wochen mit immer mehr Informationen füttern, sodass wir ihn noch besser kennen lernen und auch einkreisen können. Jan?«
»Einverstanden. Du teilst die Kompetenzbereiche auf, aber alles läuft Hand in Hand. Hab ich dich richtig verstanden?«
»Genau so war es geplant.«
Die Tür ging auf, und Harms kam zurück. Er blieb stehen und sagte: »Ich habe mit Kieper gesprochen und seine Laune ein klein wenig aufgehellt. Mann, Sören, lass mich in Zukunft mit Kieper reden, ich weiß, wie ich ihn anzupacken habe, und dann ist er auch ganz friedlich. Du rastest immer gleich aus, wenn du ihn siehst, ich frag mich nur, warum. Er hat dir nie was getan. Und wenn es wegen damals ist, tut mir leid, er kann so wenig dafür wie du …«
»Das weiß ich selber. Aber gestern Abend hast du gesagt, dass er zufrieden ist mit meiner Arbeit. Allerdings kenne ich Kieper und konnte mir einfach nicht vorstellen, dass er das ernst meint. Um zehn hätte ich einen Termin mit ihm gehabt, und was macht er? Er hockt um halb neun hier und nimmt an unserer ersten Sitzung teil. Aber das ist typisch für ihn.«
»Okay, hören wir auf, darüber zu streiten, es gibt nämlich etwas viel Wichtigeres. Eben ging eine Vermisstenmeldung ein. Ein gewisser Markus Göden aus Osdorf wird seit heute früh vermisst. Seine Eltern haben … «
» Wie alt? «, wurde Harms von Henning unterbrochen, der wie elektrisiert war .
» Siebenundzwanzig. «
» Warum haben seine Eltern ihn als vermisst gemeldet? Wohnt er noch bei Mama und Papa? «
» Scheint so. Kümmert euch drum. Hier ist die Adresse. «
» Osdorf. Liegt ja gleich um die Ecke. Ich sag lieber nicht, was ich denke. Wann wurde er zuletzt gesehen? «
» Keine Ahnung, frag die Eltern, ich hab nur die Meldung bekommen. «
Henning gab Santos das Zeichen zum Aufbruch. Sie nahmen wieder den BMW. Nach zwanzig Minuten hielten sie vor einem Klinkerbau am Rand des kleinen Ortes Osdorf, keine fünf Minuten von Gettorf entfernt. Eine etwa fünfzigjährige Frau und ein bärtiger Hüne mit vollem grauem Haar standen in der Eingangstür und schauten immer wieder von rechts nach links, als würden sie hoffen, ihr Sohn würde die Straße entlang kommen und so tun, als wäre nichts gewesen. Eine Hoffnung, von der Henning nicht glaubte, dass sie sich erfüllen würde.
» Auf in den Kampf «, sagte er und schnallte sich ab. Sie stiegen aus und gingen auf das Haus zu.
MONTAG, 18.15 UHR
B utcher war am Nachmittag in Eckernförde gewesen, um einen Umschlag für die Kripo Kiel einzuwerfen und noch ein paar Sachen einzukaufen, die er für den Abend brauchte. Später hatte er ein längeres Bad genommen und ging die gewundene Treppe hinunter, als er seine Mutter unten stehen sah .
» Frau Kaiser hat eben angerufen. Ihr Wagen springt nicht an, und sie bittet dich, doch mal nachzuschauen, was damit sein könnte. Bevor sie morgen früh wieder abreist … «
» Ich geh rüber.
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