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Unsichtbare Spuren

Unsichtbare Spuren

Titel: Unsichtbare Spuren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
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überall rum … Wo sie überall war. «
    Lisa Santos war erschrocken über die Emotionslosigkeit, mit der Frau Hansen sprach. Sie wirkte überaus unzugänglich und distanziert, als würde es ihr nicht leid tun, ihre Tochter verloren zu haben. Oder als hätte sie mit einer solchen Nachricht bereits gerechnet. Doch mit einem Mal änderte sich die Situation. Nach ein paar Momenten des Überlegens nahm sie auf einem Sessel Platz und schlug die Beine übereinander. Ihre Hände zitterten, die Finger krallten sich in das beige Leder, ihr Blick war gesenkt, die Mundwinkel zuckten. Sie ist doch nicht so kalt, dachte Santos, sie will oder kann nur nicht ihre Gefühle zeigen. Aber nachher, wenn wir weg sind, wird der große Knall kommen. Sie wird alte Fotos herauskramen und sich vielleicht sogar die Seele aus dem Leib heulen. Aber nur , wenn kein anderer dabei ist. Sie hat wohl gelernt, stets die Beherrschung zu wahren.
    » Wann haben Sie Miriam zum letzten Mal gesehen? «
    » Im November. Sie hat gesagt, sie würde es hier nicht mehr aushalten und für eine Weile weggehen. «
    » Warum hat sie es nicht mehr ausgehalten? «, fragte Santos .
    » Private Gründe, die unerheblich sind. Ich habe auf sie eingeredet, aber sie hat meine Warnungen einfach in den Wind geschlagen. Nur weg von hier, das war ihre Devise. Sie war eben noch jung und meinte, alles müsse nach ihrem Kopf gehen. «
    » Frau Hansen, für uns ist bei der Aufklärung des Mordes wichtig, warum Miriam so plötzlich ihr Zuhause verlassen hat. Und vor allem, wo ist sie gewesen? «
    » Also gut, wenn Sie ’ s unbedingt wissen wollen «, sagte sie leise, während die ersten Tränen über ihr Gesicht liefen. Sie stand auf und holte sich ein Päckchen Taschentücher und wischte sich über die Augen und putzte sich geräuschlos die Nase. » Entschuldigung … «
    » Kein Problem, lassen Sie sich Zeit. «
    Es vergingen vielleicht zwei Minuten, bis sie mit stockender Stimme fortfuhr: » Miriams Vater ist vor fünf Jahren gestorben, und das hat sie nie richtig verwunden. Als ich wieder jemanden gefunden habe, hat sie das nicht verstanden oder nicht verstehen wollen. Auch ihre Schwester Heike, die Sie eben kennen gelernt haben, hat Probleme mit meinem neuen Lebensgefährten. Ich habe oft versucht, Miriam meine Situation zu erklären, aber sie hat mich nicht an sich herangelassen. Sie hat ihr …«
    »Wenn ich Sie kurz unterbrechen darf«, sagte Santos und beugte sich nach vorn. »Warum hatte Miriam etwas gegen Ihren neuen Lebensgefährten? «
    » Genau weiß ich das selber nicht, mal war es dies, mal jenes .
    Sie hat sehr an ihrem Vater gehangen und konnte wohl nich t b egreifen, dass ich mir wieder einen Mann ins Haus geholt habe. Sie war vierzehn, als ihr Vater starb. Das ist so das Alter, wo man mit einem Bein noch zu Hause steht, mit dem andern schon in der Welt da draußen. Und als ich vor drei Jahren Werner kennen gelernt habe, war ich zum ersten Mal seit langem wieder glücklich. Aber er hat nicht zu Miriams Leben gehört, sie hat ihn von Anfang an abgelehnt. Und bei Heike ist es nicht viel anders. «
    Eigentlich interessierte Santos die Lebensgeschichte von Frau Hansen nicht, aber sie hörte trotzdem geduldig zu. » Wo ist Herr …? «
    » Carstensen. Er hat ein eigenes Architekturbüro. Er lebt nicht dauernd hier. Er hat ein Haus auf Sylt, wohin er sich des Öfteren zurückzieht. «
    » Kommen wir wieder zu Miriam zurück. Wann genau ist sie weggefahren? «
    »Am 12. November. Seitdem haben wir nichts von ihr gehört. Sie hat lediglich vor zwei Monaten eine Karte aus Marokko geschickt und geschrieben, dass es ihr gut geht und sie irgendwann wieder nach Hause kommt. Aber dass das gestern sein sollte, davon wusste ich nichts. Vielleicht wollte sie uns überraschen. «
    » Woher hatte sie das Geld? «
    » Mein verstorbener Mann hat uns einiges hinterlassen, natürlich auch Miriam. Sie hat einen Teil davon genommen und gesagt, sie müsse mal Abstand von zu Hause gewinnen. Na ja, sie hatte ihr Abi in der Tasche, für das Hauptstudienfach, das sie belegen wollte, gab es keine freien Plätze mehr, aber sie hatte eine feste Zusage für das im Herbst beginnende Semester. Und nun sagen Sie mir bitte, wie sie gestorben ist? Hat sie sehr leiden müssen?«
    »Sie ist offenbar einem Sexualverbrecher in die Hände gefallen. Mehr können wir im Augenblick nicht sagen. Tut mir leid.«
    »Kann ich sie sehen?«
    Santos warf einen Blick zu Henning, der nur mit den Schultern zuckte.

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