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Unsichtbare Spuren

Unsichtbare Spuren

Titel: Unsichtbare Spuren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
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Heike noch viel mehr sagen wollte, aber sich doch nicht traute. Sie meinte eine verletzte Kinderseele zu sehen, doch sie konnte sich auch täuschen. Vielleicht verrannte sie sich nur in etwas, vielleicht waren die Aufzeichnungen von Miriam gar nicht so ernst zu nehmen. Aber warum wollte Heike dann lieber mit ihr und Henning fahren und nicht mit ihrer Mutter?
    » Weshalb ist Miri denn weggefahren? Gab ’ s zu Hause Streit? «
    Heike krampfte die Hände ineinander und atmete schneller .
    Sie schaute aus dem Seitenfenster und sagte nichts. In diesem Moment wusste Santos, dass sie ins Schwarze getroffen hatte .
    Dass das, was Miriam geschrieben hatte, nicht erfunden war, sondern der Realität entsprach. Und sie wurde sich gleichzeitig ihrer eigenen Hilflosigkeit bewusst.
    » Ist Miriam wegen Herrn Carstensen weggegangen? Du kannst es mir ruhig sagen, ich schwöre, es niemandem zu verraten. «
    Heike presste die Lippen zusammen und nickte kaum merklic h » Und du, wärst du gerne mit ihr mitgegangen? «
    Nicken.
    » Du magst ihn also nicht. Was sagt denn deine Mutter dazu? «
    » Nichts, weil es sie nicht interessiert. Sie behauptet immer, ich würde lügen. «
    » Das verstehe ich nicht «, gab sich Santos ahnungslos. » Wieso lügen? «
    » Einfach so. Ich lüge aber nicht. «
    Henning warf Santos durch den Rückspiegel einen Blick zu .
    Sie zuckte nur mit den Schultern. Jede weitere Frage wäre eine intime gewesen, und das erschien ihr nun doch zu gewagt .
    » Hat Herr Carstensen dich jemals angefasst? «, fragte Henning unvermittelt. » So wie deine Schwester? «
    Heike schaute erschrocken nach vorn. » Woher wissen Sie das? «
    » Wir haben da was bei Miriam gefunden. Das war auch der Grund, weshalb sie abgehauen ist. Sie hat dich nur sehr ungern allein zurückgelassen. «
    » Ich weiß. Sie hat mich ein paarmal angerufen und mich gefragt, wie es mir geht. «
    » Sie hat dich angerufen? «, fragte Santos überrascht. » Weiß deine Mutter davon, oder habt ihr das geheim gehalten? «
    » Nein, Miriam hat immer am Mittwochabend angerufen, wenn meine Mutter mit Werner weg war. Sie hat mir immer alles erzählt, was sie so erlebt hat. Vorgestern hat sie mich noch angerufen. Sie hat sich so gefreut, mich wiederzusehen. Und ich mich auch.« Heike weinte, und Santos reichte ihr ein Taschentuch, das sie so fest in die Hand nahm, als wollte sie es zerquetschen. Die Tränen tropften auf die Jeans und den Pullover, ihre Nase lief.
    Santos fühlte mit Heike, und dieses Gefühl machte sie wütend. Wütend und ohnmächtig, weil sie nichts unternehmen konnte. Sie konnte nichts für ein Mädchen tun, das gerade in die Pubertät kam und von einem Mann, der fast ihr Großvater sein könnte, bedrängt und womöglich belästigt und von der Mutter als Lügnerin hingestellt wurde. Und jetzt war auch noch die große Schwester tot, die ihr wenigstens ein bisschen Halt gegeben hatte. Andererseits wäre Miriam im Herbst nach Heidelberg gezogen und … Es hat keinen Zweck, darüber nachzudenken, dachte Santos. Aber ich werde mit Frau Hansen sprechen, nachher, nachdem sie Miriam ein letztes Mal gesehen hat. Wenn sie geschockt von dem Gesehenen und dadurch für eine Weile nicht sonderlich widerstandsfähig ist .
    Nach fast anderthalb Stunden Fahrt erreichten sie das Institut für Rechtsmedizin, wo sie bereits von Prof. Reinhardt erwartet wurden. Santos bat Carstensen und Heike, in der Eingangshalle Platz zu nehmen, sie wollte ihn nicht dabeihaben .
    Er protestierte, doch sie ließ sich nicht umstimmen. Zusammen mit Henning und Frau Hansen betraten sie den nicht sehr großen Raum, in dem Miriam auf einem Metalltisch lag, zugedeckt mit einem grünen Laken. Prof. Reinhardt, ein knapp sechzigjähriger Pathologe, dem nichts mehr fremd war, zog das Laken vom unnatürlich weißen Gesicht. Die Lippen hatten einen bläulichen Schimmer. Frau Hansen streichelte Miriam übers Haar und brach in Tränen aus.
    » Meine Miri, meine kleine Miri «, schluchzte sie. » Warum, warum, warum? Warum bist du nicht zu Hause geblieben, wie ich dir geraten habe? Warum? «
    Nach fünf Minuten nahm Santos sie vorsichtig am Arm und führte sie in einen Nebenraum, wo sie ungestört waren. Henning blieb bei Reinhardt, der sich eine Zigarre angezündet hatte, und wechselte einige Worte mit ihm .
    » Frau Hansen «, sagte Santos, nachdem sie sich gesetzt hatten , » es gibt da ein paar Dinge, die ich mit Ihnen besprechen möchte. Und ich bitte Sie, mir genau zuzuhören. Geht

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