Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unsichtbare Spuren

Unsichtbare Spuren

Titel: Unsichtbare Spuren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
Vom Netzwerk:
«
    » Und was? «
    » Lass dich überraschen. Keine Angst, ich setz dich nachher wohlbehalten wieder hier ab. Was ist? Wenn ich es recht sehe, hast du heute Abend nichts weiter vor, oder? «
    Er zuckte mit den Schultern, erhob sich, zog seine Schuhe an und nahm die Jacke vom Haken. Bevor sie gingen, schloss er die Balkontür und machte den Vorhang zu .
    » Nehmen wir die Treppe, die Aufzüge bleiben ständig hängen. In diesem Haus kümmert sich keiner um irgendwas, der Hausmeister ist mehr besoffen als nüchtern, und irgendwelche Chaoten machen sich einen Spaß, alles zu demolieren. « Er öffnete die Tür und wartete, bis Santos im Treppenhaus war .
    Sie duftete nach einem orientalischen Parfum, ein Duft, den er erst jetzt bemerkte.
    Unten setzten sie sich in Santos ’ Mini Cooper, sie startete den Motor, wendete und gab Gas.
    » Und wohin geht die Reise? «, fragte Henning, als er merkte, dass sie aus Kiel hinausfuhren .
    » Wie schon gesagt – lass dich überraschen. «
    Es herrschte wenig Verkehr an diesem Freitagabend. Sie fuhren durch Eckernförde und weiter Richtung Schleswig .
    » Willst du etwa noch mal an den Tatort? «, fragte Henning leicht genervt.
    » Nein, der interessiert mich im Augenblick nicht. «
    Mehr sagte Santos nicht. Sie kamen durch die Innenstadt von Schleswig, bis sie in der Nähe des Landeskrankenhauses waren.
    » Komm «, sagte sie, nachdem sie den Wagen auf dem Parkplatz vor einem von lauter Bäumen umgebenen Gebäude abgestellt hatte. Henning stieg wortlos aus und ging neben ihr auf den Eingang zu. Sie begaben sich in den ersten Stock, wo Santos von einer Nachtschwester begrüßt wurde, als würden sie sich seit einer Ewigkeit kennen.
    » Ist sie schon im Bett? «
    » Nein, sie sieht fern. «
    Santos öffnete vorsichtig eine Tür und trat mit ihrem Kollegen ein. Es war ein Einzelzimmer. Eine Frau mit kurzen dunkelbraunen Haaren saß in einem Rollstuhl, die Arme und Beine fixiert. Der Fernsehapparat lief, sie starrte auf den Bildschirm, ohne von den Eintretenden Notiz zu nehmen. Santos zog sich einen Stuhl heran und nahm die Hand der Frau .
    » Hallo, Carmen. Wie geht ’ s dir heute? «, fragte sie sanft und streichelte ihr übers Gesicht, wobei sie eine Haarsträhne aus Carmens Stirn strich. Erst jetzt wandte die Angesprochene den Kopf und sah Santos an, und ein kaum merkliches Lächeln huschte über ihre Lippen. » Du, ich hab einen Freund und Kollegen mitgebracht, der dir auch mal hallo sagen wollte. Carmen, das ist Sören. « Und als Henning keine Anstalten machte, näher zu kommen: » Keine Scheu, sie beißt nicht. «
    » Wer ist das? «
    » Ich hab ’ s mir heute Nachmittag überlegt «, sagte Santos, ohne die Frage zu beantworten, und hielt Carmens Hand, » ich dachte mir, du solltest sie sehen. Du lässt uns ständig alle spüren, wie dreckig es dir geht, und ich hab auch die ganze Zeit meinen Mund gehalten, aber vorhin in der Kantine ist mir die Hutschnur gerissen. Erst heute Vormittag Miriam und dann auch noch die Hansen. Weißt du, als ich mit Frau Hansen allein war und sie auf Heike und Miriam angesprochen habe, hat sie zu mir gesagt, und ich zitiere wortwörtlich: › Was wissen Sie schon von Glück oder Unglück? ‹ Dann kam dein Kantinenauftritt, und da hab ich mir gedacht, ich bring dich mal hierher, damit du siehst, dass es auch andere Menschen gibt, die nicht auf der Sonnenseite leben. «
    » Und, was hab ich mit ihr zu tun? «, fragte Henning leise und deutete auf Carmen.
    » Gar nichts. Aber ich erzähl dir ihre Geschichte, und ich bitte dich, einfach nur zuzuhören. Carmen wurde vor ziemlich genau zwanzig Jahren von mindestens drei Männern eine ganze Nacht lang vergewaltigt und misshandelt, ihr ganzer Körper war übersät mit Hämatomen, vier Rippen waren gebrochen, von den Unterleibsverletzungen ganz zu schweigen. Einer von ihnen muss versucht haben sie zu erwürgen. Er hat wohl gedacht, sie sei tot, war sie aber nicht. Und einer der andern hat anscheinend Gewissensbisse bekommen und am nächsten Morgen bei der Polizei angerufen und genau geschildert, wo die angebliche Leiche liegt. Als man sie fand, war sie aber nicht tot, sie lebte, doch sie hat so schwere Schäden davongetragen, dass sie nie wieder in ein normales Leben zurückfinden wird. Große Teile ihres Gehirns sind aufgrund der lange unterbrochenen Sauerstoffzufuhr abgestorben. Sie kann nicht mehr allein zur Toilette gehen, und was das bedeutet, kannst du dir denken. Sie kann nicht mehr sprechen,

Weitere Kostenlose Bücher