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Unsichtbare Spuren

Unsichtbare Spuren

Titel: Unsichtbare Spuren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
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möglich, dass sie noch dreißig oder vierzig Jahre lebt. Unsere Eltern werden zwar dann schon tot sein, aber ich hoffe, dass ich Carmen überlebe. Und vielleicht geschieht ja irgendwann ein Wunder, und sie wacht wieder auf. Ich sage mir, solange sie gerne fernsieht, so lange besteht Hoffnung. Hört sich komisch an, aber ich werde nicht aufgeben, weiter an das Unmögliche zu glauben.« Und nach ein paar Sekunden: »Hast du sie schon mal richtig angeschaut? Sie ist immer noch bildhübsch, viel hübscher als ich, aber das war sie immer schon. Sie hat eine makellose Haut, doch das Schönste sind ihre Haare und ihr Mund, und natürlich ihre Augen, auch wenn sie nicht mehr so glänzen wie früher. Einmal im Monat kommt eine Friseurin, meistens mach ich ihr aber die Haare und schmink sie.«
    »Das machst du alles noch neben deinem Job?«
    »Würdest du das nicht für den Menschen tun, der dir am meisten bedeutet? Ich habe zu Hause ein Poster hängen, da ist ein Indianermädchen drauf, das seinen kleinen Bruder auf dem Rücken einen steinigen Berg hochträgt. Jemand sagt zu ihr: ›Du trägst aber eine schwere Last‹, woraufhin sie erwidert: ›Das ist doch keine Last, das ist mein Bruder‹. Tja, Sören, und das ist meine Schwester. Ich weiß, sie würde für mich genau dasselbe tun.«
    »Und wo bleibst du dabei?«
    »Es geht nicht um mich. Und ich weiß genau, worauf du abzielst, aber der Mann, der mich haben will, muss auch akzeptieren, dass es neben ihm noch jemand anderen gibt. Ich hatte einige Beziehungen, die aber alle in die Brüche gegangen sind. Oft hab ich gedacht, das ist der Richtige, aber irgendwann hatte jeder von ihnen die Schnauze voll. Also werde ich warten. Und sollte ich keinen finden, auch gut. Ich hab inzwischen gelernt, allein zu leben. Es ist alles eine Frage der Einstellung. Was ist wichtig und was nicht. Ich brauch keinen Mann, der von mir verlangt, dass ich mich nur auf ihn konzentriere. « Und nach einer kurzen Pause: » Tja, das war ’ s eigentlich, was ich dir zeigen wollte … Carmen, ich muss jetzt leider los, aber ich komm dich morgen wieder besuchen. Und dan n m achen wir einen Schönheitstag und lassen es uns so richtig gut gehen. Einverstanden? «
    Carmen lächelte wieder für einen kurzen Moment, als hätte sie ihre Schwester verstanden. Lisa küsste sie auf die Wange und umarmte sie noch einmal, bevor sie das Zeichen zum Aufbruch gab.
    Draußen zündete sich Henning eine Zigarette an, während sie um kurz vor zehn langsam zum Auto gingen. Der Himmel war wolkenlos, unzählige Sterne bedeckten das Schwarz, ein kühler Wind ließ die Blätter der Bäume rascheln. Bevor sie einstiegen, sagte Santos: » Hast du was dagegen, wenn wir uns in Kiel eine Pizza und eine Flasche Wein holen und ich noch mal mit zu dir komme? Keine Angst, ich hab keine Hintergedanken. «
    » Von mir aus. Und jetzt sag schon, warum hast du so ein Geheimnis aus deiner Schwester gemacht? «, wollte Henning wissen.
    » Hätte ich von ihr erzählt, was hättet ihr dann alle gedacht? Die ist doch nur zu den Bullen gegangen, um sich zu rächen oder ihr schlechtes Gewissen zu beruhigen. Oder? Das stimmt aber nicht. Ich habe mir lediglich geschworen, alles zu tun, damit wenigstens ein paar Menschen sicherer leben können. Hat aber bisher mehr schlecht als recht geklappt. Mittlerweile hab ich kapiert, dass ich nichts verändern kann. Als ich auf die Polizeischule gegangen bin, da war ich noch der Überzeugung, etwas bewirken zu können, aber dann kam der Polizeialltag, und ich merkte, dass auch bei uns nur mit Wasser gekocht wird. «
    » Hör zu, wir können nicht alle beschützen. Außerdem ist unsere Hauptaufgabe, Fälle zu lösen, und nicht, Präventivmaßnahmen zu ergreifen. Da müsste der Gesetzgeber schon etwas aktiver werden. «
    » Und wie stellst du dir das vor? «
    » Keine Ahnung. Ist auch nicht meine Aufgabe, drüber nachzudenken. «
    » Mir würde da schon einiges einfallen. Wenn eine Frau von einem Stalker belästigt wird, schreiten wir doch in der Regel erst ein, wenn sie tot ist. Oder ein Mann, der seine Frau immer und immer wieder verprügelt und misshandelt, kommt erst dann in den Knast, wenn sie nicht mehr aufsteht, weil sie sich vorher nicht traut, zur Polizei zu gehen. Und warum? Weil sie weiß, dass ihr Schlägergatte vielleicht ein oder zwei Tage in der Zelle verbringt, und dann? Dann kommt er nach Hause und knöpft sie sich erst richtig vor. Na ja, du wirst schon Recht haben, wir sind eben nur da, um

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