Unsterbliche Bande
der Esstisch. An der Wand diesem Schlafzimmer gegenüber liegen zwei Türen, aber was dahinter ist, weiß ich nicht. Die Küche ist auf dieser Seite. Ich glaube, es handelt sich um eine Wohnung – der Grundriss legt das nahe.«
»Nach draußen haben Sie nicht blicken können?«
»Drüben sind die Fenster genauso komisch wie dieses.«
Wieder sah Lily sich im Zimmer um, doch ihr fiel nichts ins Auge, das sich als Waffe geeignet hätte. Nichts schien sich als mögliches Fluchtmittel zu eignen. Dann konnte sie sich ebenso gut darum kümmern, was ihre Blase beharrlich als dringlich meldete. »Ich muss mal ins Badezimmer.«
»Natürlich. Die Dusche funktioniert, Shampoo ist da, und Sie haben ihre eigene Zahnbürste. Ich habe ihnen gesagt, dass Menschen manche Dinge nicht teilen, deswegen haben sie noch eine gebracht. Im Badezimmer gibt es einen Kleiderschrank. Ohne Kleiderbügel, mit denen wir uns die Augen ausstechen könnten, aber sie haben Ihnen ein paar Kleider zum Wechseln zur Verfügung gestellt.«
»Aufmerksame Entführer.«
»Das gehört alles zu ihrem Kodex. Nach dem, was Alycithin gesagt hat, ist es wohl so etwas wie die Genfer Konvention. Wir müssen anständig ernährt, bekleidet und untergebracht werden. Ich glaube, diesbezüglich gibt es viele Regeln.«
»Die Genfer Konvention verbietet auch das Schlagen oder Foltern von Gefangenen.«
»Das ist ihnen auch nicht erlaubt. Sie können mich einfrieren oder mir meine Stiefel wegnehmen, aber sie dürfen mich nur schlagen, wenn ich einen von ihnen angreife.«
Hatte Jasper gelogen, als er sagte, Adam seien Schmerzen zugefügt worden? War er vielleicht gar nicht entführt worden? Oder befolgten »die anderen« nicht ihre Version der Genfer Konvention?
Friar würde selbstverständlich keinerlei Kodex beachten, der ihm nicht passte. Lily nickte nachdenklich und begab sich zum Badezimmer.
Die Badezimmertür war abschließbar. Das Schloss war eines mit einem Knopf zum Eindrücken, also einfach aufzustemmen oder aufzubrechen, aber es ließ sich verschließen. Das war eine Überraschung. Auch hier erklang Mozart. Sonst war das Badezimmer genauso normal wie das Schlafzimmer, abgesehen davon, dass der übliche Krimskrams fehlte, der sich in einer bewohnten Wohnung üblicherweise ansammelt. Auf der schmalen Ablage neben dem Waschbecken fand sie einen kleinen Stapel Waschlappen, Ivory-Seife und Colgate-Zahnpasta. Zwei Zahnbürsten, eine leicht feucht vom kürzlichen Gebrauch, die andere noch in der Plastikhülle. Gewöhnliche Handtücher hingen über der Handtuchstange. Shampoo in dem Fach für die Badewanne. Der Schrank war begehbar und bis auf zwei kleine, ordentliche Stapel Kleider – Seans zur Rechten und ihre zur Linken – leer. Für sie hatte man zwei Jeans, zwei Unterhosen, zwei T-Shirts und zwei BH s bereitgelegt, alles in ihrer Größe, was sie unheimlich fand. Keine Schuhe oder Socken.
Sie leerte ihre Blase, spritzte sich Wasser ins Gesicht – langsam ließ der Kopfschmerz nach – und drehte die Dusche auf, jedoch ohne sich auszuziehen und sich darunterzustellen. Stattdessen blieb sie daneben stehen und sagte sehr leise: »Drummond.«
35
Wenn der Dezember zu Ende geht, schafft es die Sonne erst nach sieben über den Horizont. Rule stand am Fenster und blickte über die Stadt, die immer noch in das Zwielicht der frühen Dämmerung gehüllt war. Für seine Augen war es schon hell genug, doch es gab nichts, das es wert war, betrachtet zu werden.
Er hatte Lust auf Kaffee. Er hatte angefangen, welchen zuzubereiten, doch dann waren die Gedanken an Lily auf ihn eingestürzt, und er hatte die kleine Küche wieder verlassen, um lange aus dem Fenster zu starren. Er hätte gern mit etwas geworfen, aber das hätte nur seine Männer in Sorge versetzt und Jasper aufgeweckt, der auf der Couch schlief, die eigentlich für Cullen vorgesehen gewesen war. Der befand sich jedoch gerade in einem Helikopter und hatte keine Verwendung dafür.
»Warum«, hatte Großmutter verkündet, »ist euer Zauberer hier unten? Er sollte dort oben sein und nach der Magie dieser bösen Elfen Ausschau halten.«
Rule hatte ihr erklärt, dass Cullen die Talismane aufgeladen hatte, die sie eventuell brauchen würden.
Daraufhin hatte Madame Yu die Augenbrauen hochgezogen. »Und sind sie nun aufgeladen?«
»Ja«, hatte Cullen geblafft. »Aber es gibt nicht genug davon. Wir haben es mit echten magischen Schwergewichten zu tun. Wir brauchen –«
»Mehr als Sie haben. Sie haben Macht und
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